Elsässer halts Maul

Am Sonnabend spiele ich in Falkensee auf der Demo gegen Jürgen Elsässer und das „Compact“ Magazin. So wichtig es ist, das zu tun, so deprimierend ist es auch, das tun zu müssen – ist der Werdegang von Elsässer doch plastischer Ausdruck linken Scheiterns. Auch spiele ich nicht jeden Tag auf Antifa-Demos gegen jemanden, den ich als Jugendlicher noch als Referenten auf Antifa-Infoveranstaltungen betrachten durfte – im Zoro in Leipzig zum „Braunbuch DVU“. Dort erlebte ich ihn als schwäbelnden Westlinken, der die Nase sehr hoch trug, was mich eher davon abschreckte, mich tiefer in sein politisches Umfeld zu begeben. Da blieb ich lieber Punk und (ex)Hausbesetzer und organisierte mich im klassenkämpferischen Anarchismus. Folgerichtig habe ich für eine nowendige Reflektion jemanden gefragt, der sich besser auskennt:

Es muss irgendwann in der zweiten Hälfte der 1990er gewesen sein, auf dem Höhepunkt der Proteste gegen die Castor-Transporte, die ein Ende der Nutzung der Kernenergie durch die Blockade der Entsorgungsinfrastruktur für den anfallenden radioaktiven Müll erzwingen wollten. Im Audimax der Humboldt-Universität diskutierten Jutta Ditfurth und Jürgen Elsässer über das Verhältnis der Linken zur Ökologie. Elsässer erschien, brachte einen in Alufolie gewickelten Döner, natürlich mit Fleisch, mit, den er ostentativ auf dem Podium verzehrte. Natürlich war das eine mackerige Geste, aber auch eine Provokation im Geiste des Punkrock gegen Tierrechtler:innen und Verzichtsethiker:innen, die auch damals in der Linken eine große Rolle spielten. Sie zeigte aber auch, worum es Elässer immer maßgeblich ging: die Inszenierung, die Selbstdarstellung, den Ruhm. Aber auch warum ihm diese gelangen, gerade vor dem Hintergrund der 1990er Jahre als nach dem Zusammenbruch der globalen Linken durchaus neue spannende Ansätze zu lebendigen Kontroversen führten. Aus dem Kommunistischen Bund kommend, landete er 1990 bei der Radikalen Linken (noch heute ist er stolz darauf, dass er sich das legendäre Plakat mit dem Porträt von Marlene Dietrich und dem Zitat „Deutschland? Nie wieder!“ ausgedacht habe) um dann zu einem Propagandisten der frühen Antideutschen zu werden. Dass er das wurde lag auch darin, dass er in einer Linken, die es mit Ästhetik, Stil, Sprache oft nicht so hatte, genau damit spielen konnte. Mit gutem Gespür griff er Gedanken und Ideen, die „in der Luft lagen“ auf, formulierte sie aus, spitze sie zu und brachte sie in die Debatte. Dabei gelang ihm auch inhaltlich die eine oder andere Intervention, z.B. mit dem Hinweis darauf dass die DVU (Deutsche Volksunion, eine Nazipartei, die in den späten 1990er Jahren Wahlerfolge feierte) von ihrer Wählerschaft her eine Arbeiterpartei sei. Er war in dieser Zeit einer der bekannteste linken Journalisten und einer der sich ganz klar auf der Seite der Gegner:innen des wiedervereinigten Deutschlands und der Kritiker:innen einer volkstümelnden Linken verortete. Als solcher kam er schließlich zu konkret und wurde dort nach Meinung der meisten, die das Blatt um 2000 herum lasen zum designierten Nachfolger des legendären, damals noch lebenden Herausgebers Hermann L. Gremliza. Allerdings begann er in dieser Zeit auch eine politische Neupositionierung. Wie die meisten Antideutschen kritisierte er die deutsche Wahrnehmung der jugoslawischen Zerfallskriege als Folge serbischer Großmachtambitionen und kritisierte die deutsche Unterstützung für Kroatien, Bosnien und schließlich Kosovo und die deutsche Teilnahme am NATO-Krieg gegen Jugoslawien 1999. Elsässer ging aber noch einen Schritt weiter. Anfang der 2000er wurde er ein publizistische Verteidiger des nach dem Kosovokrieg gestürzten serbischen Ministerpräsidenten Slobodan Milošević, der in Den Haag vor Gericht gestellt wurde. Elsässer fuhr nach Belgrad und genoss den Jubel Tausender Milošević-Anhänger. Zudem begeisterte er sich für souveränistischen französischen Innenminister Jean-Pierre Chevènement, der dem Islamismus entgegentreten und Europa unter Einschluss Russlands als Gegenpol zu den USA stark machen wollte. In dieser Zeit wandte er sich einem Antiimperialismus zu, der das gute Volk durch Heuschrecken und amerikanische Imperialisten bedroht sieht. „Angriff der Heuschrecken: Zerstörung der Nationen und globaler Krieg“ hieß dann auch ein 2007 erschienen Buch von ihm, in der er die Phase der Kriege nach dem 11. September 2001 aus dieser Perspektive deutete. Da hatte Gremliza ihn schon bei konkret rausgeschmissen und Elsässer war bei Neuen Deutschland und junger Welt unterwegs. Er wollte aber nicht nur über Politik schreiben, sondern selber als großer Zampano die Strippen ziehen. Nach der Abspaltung der „Wahlalternative Arbeit und Soziale Gerechtigkeit“ (WASG) versuchte er sich als Stichwortgeber und Berater Lafontaines, und setzte sich für Querfrontbündnisse zur Verteidigung des Nationalstaates gegen den US-amerikanischen Globalismus ein. Als Bündnispartner dabei sah er auch das iranische Regime an, dessen Niederschlagung der Proteste 2009 er so feierte: „Hier wollen Discomiezen, Teheraner Drogenjunkies und die Strichjungen des Finanzkapitals eine Party feiern. Gut, dass Ahmadinejads Leute ein bisschen aufpassen und den einen oder anderen in einen Darkroom befördert haben.“ Schließlich gründete er 2009 seine „Volksinitiative gegen das Finanzkapital“ und 2009 zusammen mit dem Islamisten Andreas Abu Bakr Rieger das Compact-Magazin. So richtig zündete jedoch keines dieser Vorhaben. Erst mit dem Entstehen der PEGIDA-Bewegung und der völkischen Radikalisierung der AfD ab 2015 entstand der Resonanzraum, den Elsässer brauchte. Endlich gab es die Bewegung, der sich „Compact“ als Leitmedium andienen konnte, endlich die Massen, die er leiten konnte. Es wäre jedoch zu kurz gegriffen, diese Karriere nur auf die Ruhmsucht und Eitelkeit Elsässers zurückzuführen. Sie ist vor allem auch ein Ausdruck davon, wie eine Linke, die eben keine gründliche Kritik von Staat, Nation und kapitalistischer Vergesellschaftung geleistet hat, die jeden Aufstand „der da unten“ gegen „die da oben“ kritiklos bejubelt und die den Feind des Feindes zum Freund erklärt, die Regression mit vorantreibt. In diesem Sinne verdient Elsässer durchaus Beachtung.

Marek Winter, 9. 7. 2024

PS.: Wenn dieser Werdegang geplant gewesen wäre, dann wäre es wirklich genial! Erst als “Antideutscher” die Linke von der Friedensbewegung entfremden (und umgekehrt) um dann die Friedensbewegung als völkischer Rechter zu übernehmen. Aber wie meistens gibt es aller Wahrscheinlichkeit nach keinen Plan, sondern eine Kette von Ereignissen. Und das bringt uns nach Falkensee: Wir können ja Einfluss nehmen auf den Fortgang der Geschichte – hoffentlich.

13.07.2024
um 15:00
Falkensee Bahnhof

Treffpunkt zur gemeinsamen Anreise vom Ostkreuz auf Gl. 2 um 14:05

Nachtrag: Wie das mit Erinnerungen so ist… Eine Ergänzung von Jutta Ditfurth auf Ex-Twitter.

Einiges falsch.
1.) Er hat auf jener HU-Veranstaltung Rindercarpaccio gegessen, das aus Restaurant geholt hatte, Porzellanteller, Rotwein. Sollte Aktion gegen BSE-“Hysterie”sein. Er sagte gönnerhaft zu mir: Fang schon mal an. Ich: ich warte. Er musste unter aller Augen essen.
2.) Er phantasiert, wenn er behauptet, das Marlene-Dietrich-Plakat erfunden zu haben. Das waren andere. Seine Eitelkeit war, als er noch links war, so berüchtigt wie sein Sexismus.

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