Ein längerer Text zur Situation in der Ukraine und zum Verhältnis der antiautoritären Linken in Deutschland dazu. Ein meiner Meinung nach sehr wichtiger Versuch einer Positionsbestimmung, weshalb ich das hier dokumentiere möchte. Von „Antiautoritären Linken gegen Faschismus und Krieg“.
„Wir sind keine machtvolle politische Organisation, kein kontinuierlicher Zusammenhang, nur ein paar Leute, die in den 90er Jahren in Ostdeutschland politisiert wurden, für die die Wende, linksradikale/emanzipatorische Bewegungen der Wende- und unmittelbaren Nachwendezeit und Antifaerfahrungen biographische und politische Bezugspunkte sind. In den letzten Jahren haben wir immer wieder Zeit in den Nachwende-Gesellschaften Osteuropas verbracht. Wir wenden uns mit diesem Text an eine Öffentlichkeit, von der wir nicht wissen, ob es sie noch gibt, weil wir uns und alles was wir bisher erlebt und getan haben verraten würden, wenn wir nichts täten.
Wir nehmen zur Kenntnis, dass sich in der Ukraine der Alptraum ostdeutscher 90er-Jahre-Antifas realisiert hat. Uns fehlen sicher viele Details, aber bisher stellt sich die Lage für uns so da: Auf dem Maidan fand ein Aufstand gegen die Repräsentanten der staatlichen Hülle einer längst in konkurrierende Banden/Klientelsysteme u.ä. zerfallenen Gesellschaft, gegen einen Teil der Eliten der heutigen ukrainischen Plünderungsökonomie statt. Dieser war wahrscheinlich weniger durch den Mangel an staatsbürgerlichen Freiheiten als durch das Schicksal eben nicht BürgerIn sondern nur Objekt einer hochmafiösen Plünderungsökonomie zu sein motiviert. In diesem Aufstand haben FaschistInnen und NationalsozialistInnen eine qualitativ herausragende Rolle gespielt. In dem durch den Aufstand entstandenen Machtvakuum hat sich eine Regierung an die Macht geputscht in der neben ProtagonistInnen des „oligarchischen Systems“ FaschistInnen und NationalsozialistInnen eine bedeutende Rolle spielen. Es wird um die Armee, deren Loyalität und Kampfeswillen, deren Bürgerkriegseignung fraglich erscheint, zu ersetzen/ergänzen eine Nationalgarde aufgebaut, in der sich vor allem NationalistInnen, FaschistInnen und NationalsozialistInnen militärisch organisieren.
Nicht erst seit dem Aufstand auf dem Maidan interveniert Deutschland politisch, versucht sich die Ereignisse im Rahmen des Ausbaus und der Sicherung seiner Vormachtstellung im östlichen Europa, mindestens bis an die russische Grenze, nutzbar zu machen. Dabei gibt es keine Hemmungen mit FaschistInnen und NationalsozialistInnen zusammenzuarbeiten. Die derzeitige Regierung wird durch Deutschland politisch und militärisch (z.B. durch den Einsatz von Bundeswehroffizieren als Militäraufklärer) in der Ukraine unterstützt.
Die innenpolitischen Auseinandersetzungen in der Ukraine werden überlagert von internationalen Konflikten zwischen Russland und der Ukraine, Russland und der EU/Nato, zwischen Europa/Deutschland und den USA.
Von dem bis hier Geschriebenen ist vieles These, grob umrissen, der ausgefeilteren empirischen und theoretischen Analyse bedürftig, eines scheint uns sicher:
In Odessa hat ein barbarisches Pogrom stattgefunden! Egal welche Aktionen in dieser Situation von den „prorussischen DemonstrantInnen“ (und/oder von ProvokateurInnen in wessen Auftrag auch immer) ausgingen: In der Art und Weise der Ermordung der im und vor dem Gewerkschaftshaus Getöteten offenbart sich ein Vernichtungswille der charakteristisch für ein Pogrom ist. VertreterInnen der derzeitigen ukrainischen Regierung, bzw. der sie tragenden politischen Parteien und Gruppierungen, haben das Pogrom unverhohlen begrüßt und den TäterInnen gedankt. Um ein Schlagwort aus den 90ern zu bemühen: das „Bündnis von Mob und Elite“ steht und es verfügt über Möglichkeiten der Gewaltausübung im Vergleich zu denen die Ereignisse in Ostdeutschland in den 90er Jahren als marginale Zwischenfälle erscheinen.
Täglich erreichen uns außerdem Nachrichten darüber, dass in der Ukraine FaschistInnen und NationalsozialistInnen ihre GegnerInnen verfolgen, foltern und ermorden. Viele dieser Nachrichten können wir nicht verifizieren. Aber unsere politischen Erfahrungen der letzten 25 Jahre in den „Transformationsgesellschaften“ östlich der Elbe, von Rostock-Lichtenhagen bis zu den Morden an russischen Antifas legen uns nahe, davon auszugehen, dass es noch viel schlimmer ist, als es die Nachrichtenschnipsel, die uns erreichen andeuten.
Die Reaktionen der deutschen Linken? Von wenigen Ausnahmen abgesehen: niente. Und wenn es doch mal einen Solidaritätsaufruf oder eine -demo für ukrainische Linke gibt, dann sind es eher traditionslinke Strömungen, die sich äußern und verhalten. Der emanzipatorische Widerstand gegen die deutsche Großmachtpolitik in Osteuropa scheint völlig zusammengebrochen.
Auffällig ist vor allem eines: Bei den verschiedenen Strömungen der antiautoritären und antinationalen Linken ist – von wenigen Ausnahmen abgesehen – das große Schweigen angesagt. Eine politische Position, die Solidarität mit den Opfern und GegnerInnen des rechten Terrors in der Ukraine ausdrückt und die die deutsche Politik in der Ukraine kritisiert ohne dabei in Apologie autoritärer Herrschaft in Russland zu verfallen, ist öffentlich faktisch nicht wahrnehmbar.
Nicht nur, dass es keine praktischen Aktionen gibt, was angesichts der eigenen globalen Wirkungsunmächtigkeit oder der Ratlosigkeit darüber, was man tun soll verständlich wäre. Nein, es findet auch wenig Bemühung um Analyse statt. Abgesehen von kleinen Zirkeln und marginalen Medien findet keine systematische Bemühung und Diskussion statt mit dem Ziel zu verstehen, was in der Ukraine passiert, was das mit den derzeitigen globalen Krisenerscheinungen, mit uns und unserem Leben hier zu tun hat. Bestenfalls lädt man sich ein paar ukrainische AnarchistInnen ein und erhofft sich, dass diese einem die Mühe abnehmen, zu verstehen was dort geschieht.
Der rechte Terror in der Ukraine, die Morde und der beginnende Bürgerkrieg werden mit einer gewissen Nonchalance zur Kenntnis genommen. In Kneipengesprächen wird bei Spiegel-Online Erlesenen wiedergekäut. Man denkt Bescheid zu wissen, weil man weiß dass es eine Spaltung zwischen der West- und Ostukraine gibt und Putin ein krasser Kunde ist.
Warum? Wir vermuten, dass es ein Bündel von Gründen gibt: Da ist die weitverbreitete Unkenntnis der aktuellen Situation in der Ukraine und der historischen Entwicklungen im sowjetischen/postsowjetischen Raum, die in der weitverbreiteten Ignoranz der deutschen Linken gegenüber den gesellschaftlichen Entwicklungen in Osteuropa gründet. In der jetzigen Situation macht sich dramatisch bemerkbar, dass es hierzulande zu keiner kritischen Analyse der gesellschaftlichen Prozesse kam, die sich z.B. in den „Farben-Revolutionen“ im Allgemeinen und der Orangenen Revolution 2004 im Speziellen ausdrückten. Da ist die Angst als „Putinversteher“ zu gelten oder auf Propaganda des russischen Staates hereinzufallen, die sich aus dem Wissen um die autoritär-repressiven Entwicklungen in Russland (Homophobie, Rassismus, Verquickungen des Staatsapparates mit extremen Rechten, …) speist. Da ist aber auch eine gewisse Abfälligkeit gegenüber der slawischen/osteuropäischen Bevölkerung spürbar, der viel zu oft gemeinhin unterstellt wird, dass „die ja alle“ irgendwie reaktionär/zurückgeblieben/autoritär/homophob/antisemitisch etc. seien, weshalb zu allen Konfliktparteien Äquidistanz zu halten sei. Dieses Ressentiment dürfte neben der objektiven extremen Marginalität im westlichen Sinne „linker“ Strömungen in der Ukraine dazu beitragen, dass die meisten antiautoritären Linken dort kein Identifikationsobjekt finden. Am Beispiel der Ukraine wird offenbar, dass es auch für die antiautoritäre und antinationale Linke unmöglich ist, eine Position zu internationalen politischen Entwicklungen zu beziehen, wenn es vor Ort eben kein Identifikationsobjekt gibt, mit dem man bedingungslos solidarisch sein kann. Diese Unfähigkeit markiert das Scheitern aller Strömungen der Linken, die seit den 80er Jahren einen identifikatorischen Internationalismus, wie er sich in den klassischen westdeutschen linken Solibewegungen manifestierte, kritisiert haben.
In diesem Zusammenhang wird ebenfalls offenbar, dass alle Diskussionsstränge, die es in den 90er Jahren zu Jugoslawien/Kosovo gab, abgerissen sind. Das Scheitern der deutschen Linken in Anbetracht der deutschen politischen und militärischen Unterstützung für die ethnische Parzellierung des Balkans ist unaufgearbeitet und verdrängt. Und da ist vielleicht die nicht unbegründete Angst vor den Erkenntnissen, die eine analytische Beschäftigung mit den Ereignissen in der Ukraine zutage fördern könnte. Deutet sich dort doch an, dass sich die objektiven Tendenzen zur Barbarei vor unserer Haustür zu realisieren beginnen ohne dass Hoffnung auf Rettung begründet ist.
In dieser Situation fordern wir dazu auf, der Empathielosigkeit gegenüber den Opfern des rechten Terrors in der Ukraine entgegen zu wirken. Uns ist egal, ob die von ukrainischen FaschistInnen und NationalsozialistInnen Ermordeten AnarchistInnen, KommunistInnen oder „ProrussInnen“ sind. Man muss kein „guter Mensch“ sein oder politische Standards erfüllen, an denen auch die hiesige Linke oft genug scheitert, um das Recht zu haben nicht zu Tode gefoltert zu werden. Wir hätten z.B. mit Borotba oder den verschiedenen Fraktionen ukrainischer AnarchistInnen sicherlich das Eine oder Andere auszudiskutieren, sind aber überzeugt, dass das in der jetzigen Situation mindestens zweitrangig ist. Wir glauben nicht, dass es unsere Aufgabe ist, die Spaltungen der ukrainischen Linken identifikatorisch nachzuvollziehen. Aufgabe einer hiesigen progressiven Linken wäre es, mit den Opfern und GegnerInnen des rechten Terrors in der Ukraine gegen diesen solidarisch zu sein, egal ob sie Russisch oder Ukrainisch sprechen, egal ob sie Hoffnungen in den Maidan gesetzt haben oder nicht. Unser Luxus, in persönlich ungefährdeter Situation diskutieren und analysieren zu können, müsste nutzbar gemacht werden, eben um zu verstehen, was in der Ukraine passiert, was das mit den derzeitigen globalen Krisenerscheinungen, mit uns und unserem Leben hier zu tun hat.
Als Linke in Deutschland hätten wir nach der Erkenntnis, wonach der Hauptfeind das eigene Land ist zu handeln und gegen die deutsche Unterstützung für die weitere Ethnisierung und Barbarisierung Osteuropas, gegen deutsche Großmachtpolitik anzugehen und unseren Teil zu einer Internationale der Deserteure, VaterlandsverräterInnen und DefätistInnen beizutragen.“
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