Zwischentöne

Ein paar Texte zum Krieg in Gaza

In meiner Nachbarschaft und auch sonst so, wissen viele Bescheid. Wer gut ist und wer böse, wem die Vernichtung und wem der Sieg zu gönnen ist. Das ist schön, wenn die Leute so klare Positionen herausschreien. Ich kann nicht mitschreien, auch wenn das vielleicht einfacher wäre, als zwischen die Fronten diskursiver Projektionen zu geraten. Aber ich bin heiser und hab Kopfschmerzen. Statt Bekenntnissen ein paar Texte und Artikel, die ich für sinnvoll, wichtig und lesenswert halte.

Die BewohnerInnen von Gaza sind nicht homogen (eine Binsenweisheit, ich weiß, aber es schadet nicht, diese einfache Wahrheit hin und wieder zu wiederholen). Das zeigen u.A. die Proteste gegen die Hamas nur 2 Monate vor dem 7. Oktober.
Etwas älter ist dieser offene Brief von Mohammed Altlooli vom durch die Hamas zerschlagenen Gaza Youth Movement.

Bitte demonstriert für uns, erhebt Eure Stimme. Bitte erhebt sie gegen die falsche und zerstörerische Politik der israelischen Regierung. Bitte erhebt Eure Stimme aber auch gegen das, was die Hamas anrichtet.

In der Westbank gibt es auch ein paar AnarchistInnen. Ein Interview der Black Rose Federation auf Libcom.

Auf israelischer Seite gab es vor dem Krieg riesige Proteste gegen die rechte/rechtsradikale Regierung. Es lohnt sehr, den israelischen Linken (jüdisch wie arabisch) zuzuhören.
Z.B. ein Statement der Gewerkschaft MAAN (die Palästinenser und Israelis organisiert) gegen die Hamas und die israelische Regierung.

The order of the day is to fight simultaneously against both Hamas and the Netanyahu-Smotrich-Ben Gvir alliance. It is a battle against religious extremism on both sides, in which the fanaticism of one fuels that of the other. Neither represents its people, who in each case yearn for peace and security.

Sehr lesenswert (und bewegend) ist dieses im linken jüdischen US-Magazins Jewish Currents erschienene und vom AK übersetzte Interview mit Michael Sfard, Menschenrechtsanwalt in Israel; Sally Abed, aktiv in der arabisch-israelischen Basisbewegung Standing Together; und Yair Wallach, Historiker an der SOAS University of London. Die Einsamkeit der israelischen Linken.

Viele von uns haben seit langem vor so etwas gewarnt, aber die Entwicklung zu sehen und das Gefühl der Hilflosigkeit zu erleben, ist schwer.

Ein sehr guter längerer Text aus der internationalen Linken versucht Antisemitismus, Campismus (Lagerdenken), Verschwörungsideologien usw. substanziell etwas entgegenzusetzen. Auf Englisch und sehr lesenswert!

Particularly problematic are political currents which centre Palestinian suffering in Gaza but have been silent – or even enthusiastic – as Syrians (including Syrian Palestinians) have been slaughtered by the Assad government and its allies (often justified by exactly the same war-on-terror rhetoric that Israel sometimes uses to excuse targeting civilians) or while Uyghurs and other mainly-Muslim ethnic minorities face mass incarceration, total surveillance and cultural erasure in China.

und

In Israel/Palestine, as in any international struggle, a genuinely internationalist, consistently democratic left should focus its activity around listening to, engaging with, and building practical support for forces on the ground organising to advance democratic politics. This means amplifying the voices of grassroots actors – feminists, queer activists, trade unionists, environmental activists – in both Israeli and Palestinian society who oppose perpetual state violence and racist division.

In der WOZ aus der Schweiz gab es ein sehr lesenswertes Interview mit Meron Mendel.

“Revolutionäre Juden und Jüdinnen” aus Frankreich in einem bemerkenswerten Text kurz nach dem 7. Oktober:

Man kann und sollte die Politik der israelischen Regierung und ihre Verbrechen an den Palästinensern verurteilen, ohne die Kriegsverbrechen der Hamas zu entschuldigen. Man kann die Unsichtbarmachung des palästinensischen Leidens anprangern, ohne das Leiden der zivilen israelischen Opfer auszulöschen und zu leugnen. Das ist möglich. Und es ist der einzige Weg, der für eine Linke ehrenhaft ist.

Ein paar Wochen später bilanzieren sie ihre ihre Aktion gegen den in RN umbenannten Front National bei der Anti-Antisemitismusdemo in Paris.

Auf dem gleichen Blog ist ein Text von Noor Or vom 9. Oktober übersetzt:

Wer essentialisiert, wer kaltblütigen Mord verteidigt, kann sich nicht als links bezeichnen. Die Entmenschlichung einer Bevölkerung im Namen ihrer Nationalität oder Ethnizität gehört zur extremen Rechten.

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In einem späteren Text der Autor:in heisst es:

Alle weigern sich, entweder die Brutalität des Hamas-Angriffs oder die Brutalität der israelischen Besatzung anzuerkennen. Dies zeugt von der Unfähigkeit, die mögliche Güte des Feindes und die mögliche Grausamkeit des Verbündeten zu erkennen, und schafft so nuancenlose Wesen, die zu homogenen Blöcken “alle Siedler” / “alle Terroristen” gehören, die weder Empathie noch Kontextualisierung verdienen und jede Hoffnung auf Verhandlungen zunichte machen.

Zum Schluss noch einen Text linker Juden/Jüdinnen aus Deutschland:

Noch während Freund*innen und Familie in Israel und die von der Welt vergessenen Menschen in Gaza ihre Toten begraben, ist der Kampf ums Narrativ in vollem Gange. Von rechts bis links hören wir ohrenbetäubendes Geschrei, das Menschlichkeit und Mitgefühl vermissen lässt oder wir hören Schweigen: das vielsagende Schweigen unserer politischen Verbündeten und Freund*innen und unser eigenes ängstliches. Es scheint, dass insbesondere polarisierende Stimmen von Leuten, die keinen eigenen Bezug zu Palästina-Israel haben, die Situation eher eskalieren und für ihre Zwecke anheizen.
Zivilgesellschaftliche Friedensinitiativen vor Ort bemühen sich seit Jahrzehnten, aus der Kriegs-Logik “Wir oder sie” herauszubrechen, hin zu einer Haltung von “Wir mit ihnen”. Der polarisierende Diskurs hier macht diese deeskalativen Bemühungen allerdings zunichte. Wir hören die immer wieder gleichen, lauten Positionen, die sich hinter einer diskursiven Frontlinie verschanzt haben.
Die Deutsche Mehrheitsgesellschaft hilft keinem jüdischen Menschen weiter, wenn sie rassistische, menschenverachtende Abschiebepolitik befeuert und durch ‚importierten Antisemitismus‘ zu legitimieren versucht.

Es gibt noch eine ganze Menge anderer Texte. Hören wir auf die Stimmen, die sich der nationalistischen Logik entziehen. Suchen wir der Dystopie zum Trotz emanzipatorische Perspektiven.

Eine richtig große Sammlung mit interessanten Texten zum Thema gibt es z.B. bei Labournet.

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