Erhört von ganz oben?

Selten so erfolgreich demonstriert! Da laufe ich mit 50 Anderen durch die Randberliner Einfamilienhauswüste Falkensee, spiele ein bisschen Geige, unterhalte mich mit sympathisierenden Nachbarn, lausche Redebeiträgen und rufe „Elsässer halts Maul!“ Zwei Tage später schreiben mir Freunde Nachrichten wie diese: “Euer Protest wurde erhört“ oder „Mensch, da musste Samstag ja kräftig in die Saiten gehauen haben. Glückwunsch zu diesem Erfolg!“ Ich schaue die verlinkten Nachrichten, sehe Elsässer im Bademantel und denke… Was denke ich eigentlich?

Eigentlich hab ich zu 2014 schon ziemlich viel zum Thema gesagt

Ich bin zwiegespalten. Einerseits gönne ich Elsässer alles Böse auf der Welt und es muss noch nicht mal alles Böse sein, was die Welt insgesamt bereithält – es reicht schon das Böse, das Elsässer denen wünscht, die er als seine Gegner ausgemacht hat. Das wiederum ist so böse, dass es mich schaudern lässt und mir zugleich die relative Harmlosigkeit des Vereinsverbots von Compact vorführt. Ein wenig freue ich mich auch, dass die bürgerliche Demokratie, die bei aller fundamentalen Kritik einer rechten Diktatur vorzuziehen ist, sich noch wehrt anstatt einfach nur zuzuschauen, wie die Protagonisten einer solchen Diktatur immer mehr Raum gewinnen. Und es ist auch beruhigend zu wissen, daß Elsässer erstmal beschäftigt sein wird und dabei – wenn alles gut läuft – tatsächlich etwas gesellschaftliches Terrain verlieren könnte. Hoffentlich!

Andererseits merke ich ein Grummeln in meinem Magen. Ich erinnere mich nur zu gut, wie Indymedia Linksunten (hier ein Link zum Archiv) mit einer ähnlichen Konstruktion verboten wurde – damals immerhin das wirksamste linke Online – Medium. Ein Verbot, das immer noch Folgen hat, wie die Durchsuchungen bei Radio Dreyeckland zeigen. Nun ist das alles nicht das Gleiche, aber ich habe ein klare Vorstellung, was die nächste CDU – geführte Regierung mit einem eher locker gehandhabten Vereinsrecht alles verbieten könnte. Und wenn ich mir dann noch eine CDU/AfD – Regierung ausmale, sind der Verbotsphantasie keine Grenzen gesetzt. Mit etwas Pech legitimiert hier die Selbstverteidigung der derzeitigen Regierung die Mittel ihrer möglichen rechtsautoritären Nachfolger (einen Ausweg aus dem Dilemma kann ich jetzt auch nicht bieten, aber ich bin ja nicht die Regierung).

Im Jubel vieler Linksliberaler über das Compact-Verbot drückt sich zudem ein übermäßiges Vertrauen in den Staat aus. Ich weiss nicht so genau, wo die Leute dieses Vertrauen hernehmen – meine Erfahrung ist ja eher die, von den Staatsorganen auf die Fresse zu bekommen und dann dafür selber den Preis zu zahlen. Ich weiß von vielen, die diese Erfahrung mit mir teilen. Erschöpft sich Politik jedoch im Appell an staatliches Handeln (der Staat soll verbieten, der Staat soll fördern, der Staat soll…), scheint diese Erfahrung eher weiter weg zu sein. Das ärgert mich, aber ich möchte jetzt gar nicht das Trennende in den Vordergrund stellen:

Entscheidend ist, dass so ein Verbot vielleicht etwas Aufschub gibt, aber die Frage, wie es zu solch einem dramatischen Terrainverlust der Linken (und ich rede jetzt über ein sehr weites Feld zwischen zwischen etwa der Sozialdemokratie und z.B. dem aufständischen Anarchismus) kommen konnte, wird so jedenfalls nicht beantwortet. Auch nicht, was zu tun wäre, um den Trend umzukehren. Aber genau das wären doch die drängenden Fragen, die sich alle linken Strömungen selbstkritisch stellen müssten!

By the way: Ich habe mir mit dieser Elsässerscheisse etwas Mühe gegeben und im Vorfeld der Demo in Falkensee einen Genossen, der sich besser auskennt, gebeten, mal was dazu zu schreiben. Wo ja auch ein ganz guter Artikel rausgekommen ist. Andere haben sich diese Mühe schon vor Jahren gemacht und das auch schon bevor es etwa 2007 zum endgültigen Bruch Elsässers mit der Linken gekommen ist. Interessierte können z.B. in der damaligen linken Onlinezeitschrift Trend herumstöbern. Exemplarisch sei hier dieses Editorial verlinkt, in dem unter anderem festgestellt wird wie tief Elsässer schon in rechte Diskurse eingebunden ist. Hier ist die Bruchkante, die über verschiedene Links weiterverfolgt werden kann. 10 Jahre später hat Daniel Kulla einen sehr lesenswerten Text geschrieben, der unter anderem folgende Frage aufwirft:

…hat er sich gar nicht so sehr verändert, hatten und haben viele mit ihm mehr gemeinsam als gern zugegeben? Wäre aus seinem Werdegang was darüber zu lernen, was in der Linken, die er nun mal jahrelang mit nicht geringer Wirkung bespielt hat, so alles schiefgelaufen ist und immer noch schief läuft?

Elsässers Autobiographie wurde 2022 in der Jungle World besprochen – einer Zeitung, die Elsässer ja mitbegründet hat, bevor er durch den linken Blätterwald fast aller Stömungen gerauscht ist um anschließend (und ein stückweit auch währenddessen) den Weg zum rechten und verschwörungsideologischen Bewegungsunternehmer zu gehen. Die Rezension trägt den sympathischen Titel “Und jetzt den Mussolini”. In der Jungle World mit Elsässer zusammengearbeitet hat auch Elke Wittich, die eine eher persönliche Reflektion in der Jüdischen Allgemeinen verfasst hat.

Was bleibt? Eine gute Freundin sagte letztens zu mir: “Jetzt weiß ich über diesen Elsässer mehr, als ich über Leute weiß, die ich mag. Das hat dieses Arschloch nicht verdient!” Womit sie recht hat! Es wäre trotzdem schön, wenn wir ein bisschen aus dieser wenig erbaulichen Geschichte lernen könnten – nur damit wir uns in Zukunft seltener mit so einem Dreck beschäftigen müssen!

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