Der freundliche Faschismus

oder: WIR MÜSSEN DAS TERRAIN WECHSELN!

Die Faschisten! Wir kennen sie von damals aus der grade untergegangenen Zone. Das waren diese Schlägertypen, die unsere Partys überfielen, deren Baseballschläger auf die Köpfe niederkrachten. Das waren diese Typen, wegen denen wir vorsichtig um die Straßenecke lugten, wenn wir – ganz junge Punks – durch ostdeutsche Kleinstädte oder die Plattenbaugebiete gehen mussten, was wir vermieden, wann immer wir konnten. Es sei denn wir waren viele und fühlten uns stark. Das Bild hat sich eingebrannt. Verrohte junge Menschen aus einer Zeit, in der unsere Eltern auch erst einmal klarkommen mussten, in der alles neu war und sich für Neonazis aus Ost und West zwischen schwarzrotgoldenem Rausch und allgemeiner Verunsicherung ein prächtiges Agitationsfeld öffnete, wo eine Armee von Bomberjacken „national befreite Zonen“ Wirklichkeit werden ließ. Wo der Verfassungsschutz ohne finanziellen Aufwand zu scheuen den „Thüringer Heimatschutz“ mit aufbaute und ein hoffnungsvolles Neonazitrio in aller Seelenruhe seine ersten Bomben basteln durfte. Gute Gründe Angst zu haben, immer noch.

20 Jahre später:

Geburtstagsparty eines guten Freundes. Wir tun, was so auf Partys üblich ist. Wir trinken, quatschen, rauchen auf dem Balkon und fressen das Buffet leer. Unter uns ist auch eine hübsche junge Frau aus der Ukraine, die Freundin eines Bekannten. Ich will sie Irina nennen. Wir kommen ins Gespräch. Ich will eigentlich nicht über den Ukraine-Konflikt reden, weil ich schon ahne, daß das die gute Stimmung verderben wird. Wir schaffen es aber nicht an dem Thema vorbei.

Aus ihren Augen blitzt blanker Hass.

Was ich halbwegs nachvollziehen könnte, ginge es um Putin, Dugin, die russische Unterstützung für eine Kriegspartei und dergleichen. Darum geht es auch. Aber nur am Rande. Vor allem aber geht es um DIE RUSSEN, diese halbasiatischen Perversen, die russische Sprache im Allgemeinen und um die Sowjetunion und ihre Überreste – Menschen die aus unverständlichen Gründen nicht mit der neuen Zeit klarkommen und soziale Sicherheiten vermissen. Immer noch versuche ich zu kommunizieren, stimme zu, dass der Stalinismus ein verbrecherisches System war und die mit der Zwangskollektiviererung verbundene Aushungerung und Deportation von Millionen nicht nur ukrainischer Bauern eines der größten Verbrechen der Menschheitsgeschichte. Und natürlich, das bringe ich selbst ein: Der Hiter-Stalin-Pakt – eine Schweinerei sondergleichen. Der Einmarsch in Ostpolen, die gemeinsamen Truppenparaden und das Zurückschicken von Emigranten in die deutschen Kerker. Bodenlos! Ekelhaft! Widerlich!
Ich wende aber auch ein, dass ich DIE Russen für ein Gerücht halte, dass die ukrainische Sprache zu Sowjetzeiten nie verboten war, dass Ukrainisch die ganze Zeit auch Amtssprache war und es immer ukrainischsprachige Schulen gab. Wenn es der stalinistischen und poststalinistischen Sowjetunion darum gegangen wäre, das Ukrainische auszurotten, hätten sie diese doch geschlossen. Sicher sorgte großrussischer Chauvinismus für ein niedriges Sozialprestige des Ukrainischen, aber da hatten es z.B. die Katalanen und Basken im Francoregime, ja selbst das Bretonische im republikanischen Frankreich schwerer. Die Diskussion wabert ziellos und ohne Chance auf irgendeine Klärung hin und her und streift kurz Bandera; für mich ein ukrainischer Vertreter des italienisch inspirierten europäischen Faschismus und außerdem ein übler Antisemit und Mörder der Juden von Lwiv. Für Irina ist Bandera DER ukrainische Nationalheld.

Grade als ich in einer letzten Aufwallung meiner Diskussionsbereitschaft versuchen möchte, eine andere antibolschewistische Identifikationsfigur anzubieten – den alten Anarchisten Machnow, schlägt ein Hammer mit dumpfem Knall auf meinen Kopf. Unfähig zu reagieren, höre ich die nächsten Sätze:
Die RUSSEN!
Ja, DIE RUSSEN!!
DIE RUSSEN!!! HABEN SCHON ZWEI WELTKRIEGE ANGEFANGEN, höre ich.
Was?
Ja, ich habe richtig gehört. Um mich herum Lachen. Andere Partygäste schütten Hohn und Spott über Irina aus. Sie fühlt sich einsam und missverstanden, kontert gutgemeinte Hinweise auf die geschichtliche Forschung damit, dass wir dann eben die falschen Geschichtsbücher gelesen haben. Ich bin ganz beduselt und gehe erstmal rauchen. Nicht nur eine, sondern 5 Zigaretten. Als ich zurückkomme ist die Diskussion immer noch im Gange. Ich habe aber keine Lust mehr und verbringe den Rest der Party mit Smalltalk bei starken Getränken.

Ich will Irina nicht Unrecht tun. Sie ist wirklich eine sympathische Frau und kulturell teile ich sicher eine ganze Menge mit ihr. Wir könnten uns auf den selben Konzerten amüsieren und würden dabei unsere fundamental unterschiedlichen Ansichten nicht einmal bemerken. Und mit Sicherheit würde Irina sich nicht als Faschistin bezeichnen. Sie ist vielmehr eine lupenreine westlich orientierte Demokratin! Wirklich! Keine Diskussion, kein Problem. Aber genau das ist es ja!

Die Banderafetischisten in der Ukraine, die Identitären in Frankreich, die Romahasser in Ungern, Dugin-Anhänger in Russland, Hausbesetzende Casa Pound-Faschisten in Italien und nicht zuletzt PEGIDA-Rassisten und antisemitische Wahnwichtel zwischen Oder und Rhein – sie sind keine Allians. Nicht immer sind sie so freundlich wie Irina. Aber selbst unter den Stammtischrassisten von Pegida sind sie zu finden: Freundliche und aufgeschlossene junge Leute glauben und verbreiten neurechte Ideologie mit jeder Menge faschistischen Fragmenten darin. Ihre Sicht auf die Geschichte ist dabei nicht ganz unwesentlich. In Ungarn, der Ukraine und den Baltischen Staaten ist die Rehabilitierung von Hitlers Verbündeten fast schon Common Sense. In Litauen gab es vor nicht allzu langer Zeit sogar ein Verfahren gegen mittlerweile hochbetagte ehemalige jüdische Partisanen – wegen Mordes an SS–Leuten.
Und wir? Antifaschistinnen und Antifaschisten, Protagonistinnen und Protagonisten der anarchistischen Bewegung – wir haben ein Problem. Wir werden nicht mehr weiterkommen mit „FASCHOS AUFS MAUL“ und „FASCHISMUS IST KEINE MEINUNG, SONDERN EIN VERBRECHEN“. Ganz einfach, weil das dazugehörige Gedankengut und Geschichtsbild dabei sind, sich so weit zu verbreiten, dass wir mit dem ersten Spruch nicht hinterherkommen werden, während wir uns mit dem Zweiten lächerlich machen, es sei denn wir ignorieren die Ideologiefragmente weil wir auf die Bomberjacken warten, die schon seit Jahren out sind.

Was jetzt?

Selbstverständlich ist es Humbug, darüber zu diskutieren ob Bandera vielleicht doch ein toller Kerl und die jüdischen Partisanen nicht doch Verbrecher waren, ob die Roma überhaupt nach Europa gehören, ob Dresden kurz vor der Islamisierung steht oder die Reptilienmenschen die Weltherrschaft übernommen haben. Auf diesem Terrain können wir nur verlieren und überlassen diese Diskussionen mit schiefem Lächeln den Politikern beim Einfangen ihrer abtrünnigen Wähler.

WIR MÜSSEN DAS TERRAIN WECHSELN!

Zeitsprung 20 Jahre rückwärts – zurück in der grade untergegangenen DDR.

Auch die Faschos in den Trümmern des „realen Sozialismus“ waren – WunderOhWunder – keine Allians. Sie waren Mitschüler und Kolleginnen, ja nicht selten auch ehemalige Mitpunks aus der verflossenen Gegenkultur des verflossenen Landes. Das bekannteste Beispiel dürfte Ingo Hasselbach sein – erst Blueser, dann Punk, dann Knast, dann Obernazi und schließlich ausgestiegen – Buch geschrieben.
Seinerzeit war die Jugendkultur vielerorts sehr polarisiert. Entweder du warst Fascho bzw. Naziskin oder du warst Punk bzw. Linker – dazwischen gab es nicht viel. Das heißt nicht, dass notwendigerweise mehr dahinter war als die Aufnäher und die Frisuren, die zudem gewechselt werden konnten, was auch häufig passierte. Wo jemand landete war oft Zufall: In welchem Stadtteil wuchs man auf? Gab es einen Faschojugendklub um die Ecke? War anderswo ein linker Sozialarbeiter angestellt worden? Gab es in der Kleinstadt einen charismatischen Linken? Machten die Faschos Teeneediskos im Wohnzimmer? Engagierten sich die örtlichen Punks oder tranken sie nur Bier und dissten alle Jüngeren? Wer machte die besseren Partys?
Die Jugendkultur war noch ziemlich im Fluss und ein hart umkämpftes Terrain, bei weitgehender Abwesenheit der Polizei. Die Faschos hatten ihre oft unfassbare Brutalität auf der Habenseite und die antikommunistische und rassistische Stimmung großer Teile der Bevölkerung im Rücken. Rechts zu sein war vielerorts in – aber nicht überall.
Die Linken hatten die besetzten Häuser – selbst in Kleinstädten wie Rathenow oder Wurzen gab es welche (was davon übrig ist, bildet auch heute noch das Rückrat der alternativen Kultur im Osten). Außerdem hatten die Linken das organisatorische Knowhow und die alten Kontakte aus der DDR–Opposition oder – auch das gab es mancherorts – einen guten Draht zum Rest der DDR-Nomenklatura, der immer noch in den Verwaltungen saß.

Unterdessen war die Wendeeuphorie weithin verflogen. Zu Spottpreisen verscherbelte die Treuhand das Volkseigentum, das den Bürgern des untergegangenen Landes zumindest nominal gehört hatte. Vielerorts kaufte die westdeutsche Konkurrenz für eine Mark ein Werk – und schloss es. Anderswo hatte man es auf die Immobilien abgesehen, die nach schneller Abwicklung der Produktion Millionen einbringen konnten. Privatisierungen, bei denen mehr übrigblieb als Trümmer, waren die Ausnahme. Es passierte genau das, was die einheitsskeptische linke DDR-Opposition in der Wendezeit vorausgesagt hatte, wofür sie nicht selten von den Demonstrationen gemobbt und durch die Stadt gejagt wurde: Abbruch, Desaster, Arbeitslosigkeit. Dagegen formierte sich Widerstand und zwar ziemlich flächendeckend.
Die frühen 90er waren auch eine Zeit der Streiks, Betriebsbesetzungen und Proteste gegen die massiven Betriebsschließungen, die faktische Deindustrialisierung großer Teile Ostdeutschlands und die per Gesetz angehobenen Mieten. Daran waren radikale Linke, Anarchistinnen, Hausbesetzer, die aufkommende Antifabewegung, also die „bunte Linke links der PDS“ nur am Rande beteiligt. Das einerseits daran, dass die untergehende fordistische Produktion der DDR-Industrie genau das war, wogegen die Subkulturen, aus denen sich viele linke Bewegungen speisten, rebelliert hatten. Andererseits waren sie damit beschäftigt, sich mit den Faschos zu prügeln, wofür es auch eine dringende Notwendigkeit gab. Schließlich mussten besetzte Häuser so gut es ging verteidigt, Flüchtlingsheime so gut es ging geschützt und den Nazis wenigstens teilweise die Straße genommen werden. Bedrohlich zeigten die Pogrome von Hoyerswerder und Rostock wie weit die Nazis gehen und wieviel Applaus und Unterstützung aus weiten Teilen der Bevölkerung sie erheischen konnten.

Dass es die Linke links der PDS nicht geschafft hat, sich gleichzeitig breiter an den sozialen Bewegungen zu beteiligen, bleibt trotzdem eine Katastrophe. Ich glaube, Ostdeutschland könnte heute ein angenehmerer Ort sein, wenn es anders gelaufen wäre. Die Notwendigkeit, dem rassistischen Mob und den Stichwortgebern aus der Politik etwas entgegenzusetzen, überschrieb gewissermaßen das gesellschaftliche Ziel, das in den Diskussionen der Wendezeit noch sehr präsent gewesen war – eine solidarische, nichtkapitalistische Gesellschaft. Jetzt, wo eine größere Massen an Menschen die unangenehmen Seiten das Kapitalismus mit eigenen Augen sehen konnte und jeglicher Kapitalismuskritik aufgeschlossen gegenüberstand, begab sich die Linke links der PDS in großen Teilen auf ein Terrain, auf dem nichts zu gewinnen war, als gelegentliche Straßenschlachten mit den Faschos, die sich trotzdem immer fester verankerten und mit ihrem Pseudo-Antikapitalismus auch Terrain eroberten, das von den subkulturellen Linke verlassen worden war. Das Desaster wurde noch dadurch verstärkt, daß die fortschreitende Desillusionierung mit zunehmender subkultureller Einigelung und Herablassung gegen jene anderen draußen, gegen „DIE PROLLS“ kompensiert wurde. Die später aufkommende und vor allem in Ostdeutschland starke antideutsche Bewegung – oder wie sie verstanden wurde – passte da wie der Arsch auf den Eimer, genau wie andersherum die Verhausschweinung von Teilen der Antifa-Bewegung als militanter Arm von Sozialdemokratie und Grünen bei den zivilgesellschaftlichen Aktivitäten für „mehr Toleranz“ seit dem von der Schröder/Fischer-Regierung ausgerufenem „Aufstand der Anständigen“.

WIR MÜSSEN DAS TERRAIN WECHSELN!

Was jetzt kommt, sind Binsenweisheiten: Natürlich dürfen wir Pegida und den widerwärtigen Mix aus Faschos und „besorgten Bürgern“ nicht unkommentiert durch die Straßen laufen lassen. Wir sollten aber auch nicht noch einmal den Fehler machen, unsere eigenen Inhalte hintenanstehen zu lassen und nur noch hilflos hinterherzulaufen. Die beste Waffe gegen den „freundlichen Faschismus“ ist eine glaubwürdige, selbstbewußte Linke, die weiß was sie will und in der Lage ist soziale Kämpfe zu gewinnen und (wenn sich die Gelegenheit bietet) mit Antirassissmus oder Patriarchatskritik zu verknüpfen. Den Antifaschismus bräuchte sie dann nicht wie eine Monstranz vor sich hertragen – er wäre einfach selbstverständlich.

2 comments

  1. Kurzer Einwand: Auch wenn die ukrainische Sprache in der Ukrainischen Sozialistischen Sowjetrepublik (USSR) nicht verboten war, so gab es in der UdSSR, speziell in den 80er Jahren, hegemonial grossrussische kulturelle Marker. Gleichzeitig gab es eine klare Tendenz zur kulturellen Nivellierung hin zum Russischen. Für die „Nationalkulturen“ der „freien Republiken“ war lediglich der Platz der folkloristischen Volksunterhaltung vorbehalten. Die Rückständigkeit der ukrainischen Sprache wurde stets suggeriert. Viele Russen sprechen deshalb nach wie vor die Eigenständigkeit der ukrainischen Sprache (und bei der Gelegenheit auch die des Landes Ukraine insgesamt) ab.

  2. Danke für die Konkretisierung. Ich will gar nicht die (post)stalinistische Nationalitätenpolitik in der SU verteidigen. Liegt mir wirklich fern. Trotzdem gibt es einen Unterschied zwischen Sprachverbot und mehr oder weniger unterschwelliger Diskriminierung. Was Letzteres nicht rechtfertigen soll.

Comments are closed.