Heute bat mich Veselin um ein paar Worte zur Rigaer für den „Lauten Bautzner“. Gern geschehen:
Ende Juni hielten junge Bautzenerinnen und Bautzener ein Plakat in der Hand, auf dem „Solidarität mit der Rigaer“ stand. Gestern nun, in der Halbzeitpause des EM-Finales, die Meldung in den Tagesthemen über gewaltsame Ausschreitungen bei einer Soli-Demo ebenfalls wegen der Rigaer-Straße.
Es ist an der Zeit, Fragen zu stellen an einen, der seit langer Zeit in der Rigaer-Straße in Berlin-Friedrichshain wohnt: Paul, Mitglied der Band „Berlinska Dróha“, als Solokünstler „Geigerzähler“ unterwegs und jetzt im LaBa-Interview.
Paul, was ist da los, in Berlin?
Es geht um die Teilräumung eines ehemals besetzten Hauses in Berlin, das schon in den vergangenen Jahren Gegenstand von Auseinandersetzungen war. Das alles geschieht vor dem Hintergrund einer fortschreitenden Verknappung und Verteuerung bezahlbaren Wohnraums. In diesem Gentrifizierungsprozess werden große Teile der Bevölkerung aus den innerstädtischen Bezirken gedrängt. Das betrifft die Ex-Besetzerin genauso wie den Pfleger oder die Verkäuferin von nebenan. Allerdings gibt es in den ehemals besetzten Häusern auch eine lange Geschichte des Widerstandes dagegen.
Du sagst Ex-Besetzer – die Menschen vor Ort haben also gültige Mietverträge?
Na ja. Es gab mal Verträge für das ganze Haus und einen Rahmenmietvertrag. Dieser Anfang der 1990er etwas eilig geschriebene Vertrag wurde aber irgendwann in den 2000ern vom damaligen Eigentümer angefochten. Insofern gibt es jetzt noch Einzelmietverträge. Die „Kadterschmiede“ wurde vom Verein „Freunde der Kadterschmiede“ genutzt und eine Räumung ohne vorherige Klage und Gerichtsvollzieher ist vom Rechtssystem eigentlich nicht vorgesehen. Insofern kann man schon davon sprechen, dass dem Innensenator Henkel sein Wahlkampf – im September sind Wahlen in Berlin – wichtiger ist, als die eigenen Gesetze und Regularien. Aber das hatten wir schon mal in den 1990ern, als der damalige Innensenator Schönbohm bei der Räumung der besetzen Häuser auch nach dem bekannten Autonomenmotto „Legal, Illegal, Scheißegal“ vorgegangen ist. Anschließend haben Bewohnerinnen und Bewohner mancher geräumter Häuser 5 Jahre später auch verschiedene Klagen gewonnen. Aber die inzwischen geschaffenen Fakten wurden natürlich nicht rückgängig gemacht. Insofern verwundert es nicht, dass sich das Vertrauen vieler Ex-Besetzerinnen und -Besetzer in den „Rechtsstaat“ eher in Grenzen hält.
Zuletzt wurde das Gebiet rund um die Rigaer-Straße zum sogenannten „Gefahrengebiet“ ernannt – eines deiner Lieder handelt davon. Hatte diese polizeiliche Zuschreibung auch mit der Räumung der Häuser zu tun? Und wie lebt es sich eigentlich in so einem Gebiet voller Gefahren?
Das gibt es ja schon länger. In der Rigaer gab es die ganze Zeit willkürliche Personenkontrollen. Das ging so weit, dass die Kinder von Freunden morgens vom Schrippenholen nicht wiederkamen, weil sie in einer Ausweiskontrolle feststeckten. In meinem Lied fasse ich das ja ganz gut zusammen:
Kulminiert ist das Ganze dann im Februar mit diesem Angriff auf den Streifenpolizisten. Was auch immer da geschehen ist – der Mann konnte seinen Dienst fortsetzen. Die anschließende „Hausbegehung“ mit SEK-Einsatz mitsamt Stürmung der Wohnungen vollkommen unbeteiligter Nachbarn war insofern völlig Unverhältnismäßig. Tags darauf verhinderte die Polizei sogar ein öffentliches Kuchenessen und stürmte die Rigaer 94 erneut. Grund war der Wurf eines Müllbeutels aus dem Fenster – mit Ankündigung und weit weg von jeglichen Beamten.
Kein Wunder, dass da Hass auf die Polizei entsteht.
Bleiben wir gleich dabei: In der Einleitung sprach ich es an, die Demo „Rigaer 94 verteidigen – Investorenträume platzen lassen“ vom vergangenen Samstag, an der etwa 3.500 Menschen teilnahmen. Die Berliner Polizei sprach von der gewalttätigsten Demonstration der letzten 5 Jahre, 123 Beamte sollen verletztet worden sein. Wie war dein Eindruck?
Natürlich war die Demo wütend. Und bei der Polizei gab es jede Menge Leute, die genau Bock auf einen Adrenalinkick hatten. Insofern ist genau das passiert was abzusehen war in dieser Gemengelage. Die Polizei stürmt wegen kleinerer Straftaten die Demo, die DemonstrantInnen wehren sich. Es gibt Verhaftungen und Verletzte auf beiden Seiten. Wobei ich die Verletzungsstatistik der Polizei mit Vorsicht genießen würde, wofür spricht, dass die meisten verletzten Polizistinnen und Polizisten ihren Dienst einfach fortgesetzt haben. Die durch Prügelattacken und Pfefferspray verletzten DemonstrantInnen verschwinden dann einfach.
Gibt es denn irgendwelche Lösungsansätze, die diesen Konflikt für alle Seiten – also für die Bewohner, für die Hauseigentümer und für die Stadtpolitik – halbwegs positiv ausgehen lassen könnte?
Darüber könnte man reden, wenn Henkel die Polizei aus dem Haus zurückzieht und damit aufhört, eine ganze Straße zu schikanieren.
Vielen Dank für das kurze Gespräch und die Einblicke.
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