„Ich habe gesucht und gesucht. Wenn der Gral auf der Welt wäre, ich hätte ihn finden
müssen.
– Er ist nicht leicht zu finden, ja.
– Er ist überhaupt nicht vorhanden.
– Unsinn Lancelot, der Gral ist unvergänglich.
– Oder, er ist wirklich nur eine Idee. “
Es ist ein bisschen wie in dem Theaterstück „Die Ritter der Tafelrunde“ von Christoph Hein. Jedoch sind die Protagonist:innen weniger vergreist (aber auch nicht mehr taufrisch). Es gibt auch keinen Tisch, kein Publikum und überhaupt kein Theater. Stattdessen sitzen Leute allein an ihren Mobiltelefonen und streiten sich in einer Signal-Gruppe über die Linkspartei und ob man sie vor der Wahl unterstützen soll. Sie streiten sich hart. So hart, das Vertreter:innen beider Seiten das Spielfeld verlassen. Die Tragödie der Linken in Deutschland als Komödie und Farce. Reenactment in Einsamkeit. Ein paar Tage später haben sich zwei Teilnehmer noch einmal physisch distanziert zusammengesetzt und Textschnipsel hin- und hergeworfen:
An Friedrichshainer Häuserwänden ist die anarchistische Welt noch in Ordnung (ohne Linkspartei)
A: OK. Linkspartei, die Wahlen, die Linke, das Weltall und der ganze Rest. Sich darüber auseinanderzusetzen hat ja das Potential zu dem Xten Aufguss alter linker Debatten über Parlament und Revolution, kleineres Übel und Wege durch die Institutionen, Korruption und Reformismus zu werden. Das würde ich gerne vermeiden. Und ja: ganz sicher, wenn Nichtwählen irgendetwas ändern würde wäre es verboten. Und zum zweiten mal ja: eine linke Oppositionspartei in Kommunal-, Landes- und Bundesparlamenten kann im Alltag durchaus einiges an Erleichterung und Nutzen für viele Menschen bringen. Mich interessiert gerade eher die Frage: was hat es mit dem Hype um die Linke, um Heidi Reichinek und die Silberlocken auf sich, und warum sehen sich gestandene Linke dazu veranlasst “trotz allem” zur Wahl der Linken aufzurufen. Und da fallen mir gerade nur zwei Punkte ein: Angst und Illusionen. Angst vor dem Kippen in den Faschismus und die Suche nach einem Rettungsanker und die Illusion, die Linke könnte so ein Rettungsanker sein.
B: Natürlich Angst und vielleicht die Sehnsucht nach etwas Hoffnung. Angst vor dem was da zu kommen scheint, das wir ja noch nicht mal klar benennen können. Tech-Faschismus? Autoritärer Neoliberalismus? Offene Diktatur des Tech – Kapitals? Der Durchmarsch dessen ist ja schon so beängstigend, dass es doch nicht verwunderlich ist, wenn da nach jedem Strohhalm gegriffen wird. Zur Illusion: Ich denke, dass das noch herauszufinden ist, was da Illusion ist und was vielleicht auch berechtigte Hoffnung.
A: Es spricht ja auch nichts gegen Angst. Es gibt ja gute Gründe derzeit Angst zu haben. Gerade in der Spannbreite dessen was da denkbar ist. Was ich problematisch finde, ist dass diese Angst die Analyse verdeckt. Emotional kann ich es nachvollziehen, dass sich Leute mit nem Schild “AfD-Wählen ist so 1933” auf eine Demo stellen. Zu verstehen, was da tatsächlich passiert hilft das jedoch wenig. Um genau die Fragen zu beantworten: WARUM kommt da WAS auf uns zu. Und dieses Nichtverstehen führt meines Erachtens unter anderem dazu, dass Menschen Hoffnungen in den parlamentarischen Prozess setzen, die weit größer sind, als das was da geht. Ich habe mit n paar Bekannten gesprochen, die jetzt der Linken beigetreten sind. Nicht weil sie denken, das wäre das kleinere Übel, das wäre taktisch sinnvoll, sondern die damit große Hoffnungen verbinden. Ein Denken darüber, was die politische Form des Parlamentarismus mit der jetzigen Krise zu tun hat, findet da halt nicht statt. Und das bräuchte es. Dann könnte man von mir aus auch taktisch wählen.
B: Natürlich hat der parlamentarische Prozess seine Grenzen. Das glaubt ja nicht einmal die Linkspartei dass er keine hätte. Dieser Run auf die Linkspartei hat aber gerade auch Züge einer (neuen) sozialen Bewegung, die womöglich sogar wirklich das Potential haben könnte über den parlamentarischen Prozess hinaus etwas im Alltag zu verändern, hier Gegenmacht zu entwickeln. Raul Zelik hat geschrieben, dass dieser Haustürwahlkampf den die machen eine neue Form des Organisings sei. Gut, der ist Mitglied und muss das vielleicht auch etwas überhöhen. Aber ich glaube schon, dass das ne Wirkung hat. Das bringt einerseits Leute, für die eine Linke seit langem ein komischer Alien aus Studentistan ist, überhaupt in Kontakt und andererseits Leute aus dem linken Milieu auf den Teppich. Etwas Besseres kann gar nicht passieren! Ich glaube auch, dass das was als “Sozialpopulismus” gefasst wird genau das ist, was es braucht (in Wahrheit ist das ja nur Sozialdemokratie, die heute als unglaublich radikal gilt – so beschissen sind die Zeiten!). Diese Forderungen etwa nach einem Mietendeckel, haben den Vorteil dass sie die ganzen Neue-Soziale-Bewegungs-Themen miteinander und mit dem Interesse von Mehrheiten verbinden. Zugleich haben sie aber in einer neuen Kapitalismusversion, die wenig Wert auf soziale Vermittlung zu legen scheint, auch eine nicht zu unterschätzende Sprengkraft. Ich finde davon kann und muss eine außerparlamentarische Linke lernen. Sie muss ich aber auch selbst erhalten und organisieren, allein weil sehr fraglich ist, was von den Bewegungsmomenten nach den Wahlen noch übrig ist bzw. ob die Reste davon dann nicht doch auch andere Formen benötigen.
Plakate symbolhaft drapiert
A: Grundsätzlich denke ich auch, dass das Züge einer neuen sozialen Bewegung hat. Junge Linksliberale, die sich in den letzten Jahren damit beschäftigt haben, wie man das Versprechen des Kapitalismus, dass alle rechtlich gleiche Warenbesitzer sind, egal ob die Ware ihre Arbeitskraft ist oder ein Berg Dr.-Oetker-Aktien, Realität werden lassen könnte, merken, dass das nicht das einzige Versprechen ist, das nicht funzt. Klingt jetzt etwas abwertend, ist auch kritisch gemeint und dennoch muss man natürlich – wenn dieser Eindruck stimmt, dem Online-Antidiskriminierungs-Aktivismus zugestehen, dass dadurch offensichtlich ´ne Reihe von Leuten anpolitisiert worden sind. Und das reale Begegnung, ob jetzt an der Haustür oder in der Kneipe wichtig sind, da sind wir uns wahrscheinlich sehr einig. Ich sehe jedoch die von Dir erhoffte Sprengkraft nicht. “Deutsche Wohnen enteignen!” hat ja nix anderes gemacht. Und konnten sich nicht durchsetzen, obwohl das politische Gewicht, das sie in Berlin hatten, enorm groß war. Und aus diesem realpolitischen Scheitern ist ja nichts erwachsen, was jetzt ein, zwei oder drei Schritte weiter nach vorn bedeutet. Die Linkspartei übernimmt hier ein erfolgreiches Konzept einer sozialen Bewegung – deswegen werden die Wohnungen trotzdem teurer. Und dann? Darauf hat die Partei keine Antwort. Muss sie auch nicht. Sie ist aber nicht ehrlich, wenn sie dieses Problem nicht benennt.
B: DW-Enteignen ist ein gutes Beispiel. Da gibt es wirklich eine Menge zu lernen. Zum Beispiel auch, dass die Linkspartei in der Koalition geblieben ist, obwohl klar war, dass der Volksentscheid verschleppt wurde. Das Problem ist, dass die Kampagne eigentlich mit den gewonnenen Volksentscheid hätte losgehen müssen! Das wäre auch Aufgabe der außerparlamentarischen Linken gewesen. Leider hatte das kaum jemand auf dem Zettel (außer ein paar Dogmatiker vielleicht, für die diese Kampagne sowieso reformistischer Scheißdreck war) und wenn es jemand auf dem Zettel gehabt hätte, wäre keine Kraft mehr da gewesen weil die ja schon in der Volksentscheidkampagne verausgabt war. Am Ende hat das glaube ich einen Haufen frustrierte, desillusionierte Leute mit ihrer Ohnmacht allein gelassen. Weniger die „erfahrenen Linken“ – die dürften, gewappnet mit einem hart erarbeitetem Misstrauen in die bürgerlichen Institutionen, von der bodenlosen Dreistigkeit, einen Volksentscheid einfach zu ignorieren, nicht komplett Überrascht gewesen sein. Eher die Leute, die sich mit Enthusiasmus und Hoffnung in in eine Kampagne gestürzt haben, an deren Ende wieder nur schulterzuckendes „kann man eh nichts machen“ stand. Vermutlich hätte das besser laufen können, wenn die „erfahrenen Linken“ aus den außerparlamentarischen Bewegungen einerseits lauter gewarnt, andererseits die Kampagne nach der Kampagne vorbereitet hätten. Vielleicht wäre das ja auch eine Überlegung in Bezug auf die Linkspartei und ihre sozialpolitischen Forderungen?
A: Hmmm. Ich glaube ja, dass die Organisator:innen, der Kern von “DW enteignen” das sehr wohl auf dem Zettel hatten, dass es so enden kann – beziehungsweise wussten sie genug über diese Gesellschaft, als dass sie es hätten auf dem Zettel haben müssen. Und entweder ist es ihnen im Rausch des Machens dieses Wissen abhanden gekommen oder sie haben es aus taktische Gründen zurückgestellt. Und dass ist ja etwas, was eine Rolle spielt, an dem Punkt an dem wir jetzt sind. Wenn man ehrlich ist, dann gibt es eine außerparlamentarische Linke, die in der Lage ist, noch irgendwas in Richtung “weniger schlimm” (von “vielleicht sogar etwas besser” ganz zu schweigen) zu reißen nicht mehr. Wenn hier irgendwas an Bewegung, Organisation, Milieu … entstehen soll, das in der Lage ist, dem sich beschleunigenden Gang in die Barbarei etwas entgegenzusetzen, dann müssen die Leute wissen, dass das ein herb anstrengendes Unterfangen wird und dass man irgendwelche Hoffnungen auf Demokratie, Rechtsstaat, Anstand und Moral dabei fahren lassen kann. Dieses Wissen muss man erwerben. Und so wie ich das gerade sehe, tut die Linkspartei eben nichts, um den ihnen jetzt zulaufenden Anhänger:innen dieses Wissen zu vermitteln. Stattdessen werden Hoffnungen verkauft. Und am Ende stehen die Leute da, wie bei “DW enteignen”. Das ist vielleicht der Punkt, um den es mir geht: ja, von mir aus kann man taktisch Linkspartei wählen. Die Baustelle ist aber eigentlich woanders: wie bringt man den Willen etwas gegen die bevorstehende Katastrophe zu tun mit der Kritik der Ursachen der Katastrophe zusammen?
Erinnerung an die Unversöhnlichkeit
B: Ich bin da etwas weniger pessimistisch mit der außerparlamentarischen Linken. Während das, was in unserer Generation mal Jugendbewegung war, nur noch in Bruchstücken vorhanden ist, gibt es auch jetzt große Jugendbewegungen. Nicht immer bin ich in jeder Beziehung einer Meinung mit denen, aber sie geben mir doch Gründe, nicht alle Hoffnung fahren zu lassen. Und noch gibt es ja Handlungsspielraum. Den sollten wir nutzen. Hinzu kommt: Alle Diktaturen und Regimes kamen irgendwann an ihr Ende. Und weil es – wie wir ja sehen – kein Ende der Geschichte gibt, kann auch der Kapitalismus mitsamt seiner ökologischen und sozialen Katastrophen Geschichte werden.
„Wenn es eine Botschaft gibt, die ich mit der Welt teilen könnte, dann ist es diese: Wenn du und Deine Community nicht in der Lage sind, ihre Lebensweise zu bestimmen, lebst du in einer Art Gefängnis. Ein Gefängnissystem, das darauf abzielt, unser Potenzial und unsere Vorstellungskraft zu kontrollieren und einzuschränken. Wenn eine der brutalsten Diktaturen des 21. Jahrhunderts innerhalb weniger Tage zusammenbrechen kann, dann kann das auch das kapitalistische System, das unser Leben beherrscht und ausbeutet. Wir müssen in der Lage sein, von dieser Welt zu träumen, so wie mein Vater es von Syrien erträumt hat.“