Gedenken

Letztens war ich auf einer Infoveranstaltung in der Galiläakirche zum Gedenken an die Opfer faschistischer Gewalt. Hat mich interessiert, weil es schwer ist, einen Weg zu finden, der den Opfern und ihren Angehörigen gerecht wird, keine Märtyrer stilisiert, gleichzeitig aber auch in der Gegenwart stattfindet und die immer noch aktuellen Ursachen benennt und angeht.
Die für mich wirklich neuen Erkenntnisse hielten sich in Grenzen, aber ich war auch spät dran. Ganz am Ende gab es noch eine kleine Kontroverse mit einem Freund Silvio Meiers aus der DDR-Opposition, der die Form des Gedenkens vereinnahmend fand und das unter anderem an der Bezeichnung seines Freundes als „Genosse“ festmachte.
Auf den Infotischen am Rande der Veranstaltung lag die neue Broschüre der Autonomen Antifa Berlin zum 20. Jahrestag. Das 44 Seiten dicke Heft hab ich sogleich gelesen und fand es gut. Vor allem die etwa die Hälfte des Druckwerks füllenden Interviews mit Freunden von Silvio Meier vermitteln einen plastischen Eindruck vom subkulturellen und anarchistischen Flügel der DDR-Opposition Ende der 80er, aus dem sich zum Teil schon vor der „Wende“ auch die Anfänge der Ostberliner HausbesetzerInnen- und Antifabewegung entwickelten. Zugleich sind die Interwiews sehr persönlich und das tut ihnen und der Broschüre insgesamt gut – schließlich war Silvio Meier (genauso wie die vielen anderen von Faschos ermordeten) kein Abziehbild.
Schwächer finde ich die Broschüre in ihren restlichen Texten, was nicht heißt, daß sie schlecht ist. Aber halt nur die übliche Antifa-Broschüre und insofern nichts, was ich noch nicht kannte. Ein weiteres Interview mit anderer Aktzentuierung findet sich bei der ALB. Die Demo am Samstag drauf war ja auch ganz ok. Gut besucht auf jeden Fall und ne klare Ansage im schönen Lichtenberg.

Auch über ein anderes Gedenken wird zur Zeit wieder viel diskutiert. Nachdem im letzten Januar maoistische SchlägerInnen am Rande der LL-Demonstration ein kritisches Transparent entwendet und auf die TranspiträgerInnen eingeschlagen haben, gibt es jetzt einen Auruf zu einem alternativen Gedenken. Worüber man sich grundsätzlich sehr freuen könnte. Zumal auch der Aufruf ganz gut ist, auch wenn der Antikapitalismus gerne noch etwas konkreter sein könnte. Um so bedauerlicher ist es, dass das alles stark an Glaubwürdigkeit verliert, wenn die Jusos (die eben noch Steinbrück beklatscht haben), Solid (jaja, die Jugendorganisation der Linkspartei, die in Berlin während ihrer Regierungszeit das alte sozialdemokratische Prinzip „Links blinken, rechts abbiegen“ sehr konsequent verfolgt hat) und die DGB-Jugend mit im Boot sitzen. Oder irre ich mich? Brechen die berliner Jusos morgen mit der SPD und bauen eine klassenkämpferische Organisation auf? Wird Solid revolutionär? Und formiert sich in der DGB-Jugend im Untergrund eine revolutionär-syndikalistische Alternative? So erfreulich das alles wäre, so unwahrscheinlich ist es auch. Die „Radikalität“ dieser Jugendorganisationen ist leider billig zu haben und ein Flugblatt ist schnell geschrieben. Die revolutionären Flausen verflüchtigen sich bei den Akteuren mit jedem Karriereschritt ein wenig mehr.
(Die Maoisten können dazu übrigens gerne den Mund halten – besteht doch die halbe Führungsspitze der Grünen aus ehemaligen Mitgliedern verschiedener maoistischer Avantgarden des Proletariats).

Soweit so ärgerlich. Ärgerlich vor allem weil wirklich ein Ort fehlt um den ermordeten Revolutionären von 1918/19 in Würde zu gedenken. Wobei die ikonografierten Karl Liebknecht und Rosa Luxemburg nur exemplarisch für tausende von Freikorps und Reaktion ermordete Revolutionäre aller Richtungen und Schattierungen der damaligen ArbeiterInnenbewegung stehen. Eine Veranstaltung auf der symblolisch auf den Opfern des Stalinismus (unter ihnen nicht zuletzt viele kommunistische Emigranten, die voller Hoffnung vor den Nazis in die Sowjetunion geflüchtet waren) herumgetrampelt wird ist jedenfalls ganz klar kein solcher Ort. Und eine Demo auf der sich die Parteifunktionäre von morgen die Klinke in die Hand geben? Auch nicht so toll!

Schade!

Im Netz wird das Ganze wütend diskutiert. Beteiligen kann man sich zum Beispiel auf Teleopolis , Indymedia und Indymedia Linksunten, wo auch viel zu einer FAQ und einer Reaktion der Jusos auf Kritik (Noske -Jugend) geschrieben wird. Oder (falls man Facebook mag) auf der Facebook-Seite der Veranstaltung. Auch auf Blogsport wird geredet – zum Beispiel hier.

In großen Teilen kranken jedoch die Diskussionen. Liest man die Beiträge, kommt über weite Strecken der Eindruck auf, es gäbe nur die Wahl zwischen Sozialdemokratie und Stalinismus. Was deprimierend wäre!

Beiträge vom letzten Mal:
Nein, nein, das ist nicht der Kommunismus+++dies und das IV+++Stalino TV +++Kolumne in der Direkten Aktion