Von der Kaufhalle der Schande in die Potse

Ich sitze auf dem Potsdamer Platz. Von hier aus sieht die Kaufhalle der Schande gar nicht so gigantisch aus. Ein paar im Vergleich zu den Hochhäusern am Potsdamer Platz niedrige, dafür aber in die Breite gewachsene und nicht besonders innovative Bauten. Fast ein bisschen wie die Stalinbauten in der Karl Marx Allee – nur kleiner und niemals als Arbeiterpalast gedacht. Ohne das pinke Schild mit der Aufschrift „BEST OF SHOPPING – MALL OF BERLIN – MORE THAN 300 SHOPS“ würden sie kaum auffallen.

Ich sitze auf dem Steinsockel von so einem komischen Metalldingsda. Um mich herum eine Gruppe Selfies schießender italienischer Touristen. Dann eine englisch sprechende Familie mit McDonalds Luftballons. Ein paar Geschäftsleute und Touristen, Touristen, Touristen. Und wieder Geschäftsleute mit ihren weißen Hemden und dunklen Anzügen. Ich sattle mein Fahrrad. Dieser Ort ist nichts für mich.
Während ich zwischen dem Sony – Center und den anderen repräsentativen Bauten hindurchfahre, versuche ich mich zu erinnern, wie der Platz aussah, als ich 16 war. Es gelingt mir nicht. Nur ein paar Bauzäune mit Streikaufrufen und die niemals ausgeführten Gewaltphantasien im Baustellenaussichtsturm fallen mir ein. Der berliner Senat hatte damals das Areal regelrecht an die Investoren verschenkt. Auf der Baustelle arbeiteten tausende vor allem polnische Bauarbeiter, die Glück haben mussten, wenn sie überhaupt bezahlt wurden. Man kann nicht sagen, dass es keine Kontinuität gibt in dieser Stadt. Der Streik deutscher Bauarbeiter richtete sich damals aber auch gegen ihre osteuropäischen Kollegen. Teile und herrsche funktionierte ganz prächtig.

Aber bin ja weiter. Wieder im Heute und auch die Straße verändert sich. Um mich herum luftig und merkwürdig verlassen das Ensemble westberliner Nachkriegsmoderne voll mit Kunst, Philharmonie und Staatsbibliothek. Bei soviel Hochkultur auf einmal kriege ich Beklemmungen und fahre Richtung Süden. Hinter dem Landwehrkanal beginnt langsam eine Zone in der das alte Westberlin noch nicht ganz verschwunden ist. Jedenfalls wenn man die beiden entmieteten 60er-Jahre Bauten ausblendet. Am Geschäft im Nachbarhaus steht in goldenen Lettern „SAFE BERLIN“. Was auch immer das heißen soll. Ansonsten die gewohnte Mischung: Strip Club, Casino, und die Beauftragte des Senats für Migration. Dazwischen Bäcker, Spätis und Gastro: Türkisch, Jugoslawisch und deutsch. Ecke Lützowstr. hat das Sicherheitsgewerbe eine Festung errichtet. Passt doch.

Je weiter ich nach Süden komme, desto belebter wird die Straße. Ecke Kurfürstenstr. ist es schon richtig voll zwischen Woolworth, dem Nazur-Supermarkt und dem Erotikstore gegenüber. „Love, Sex, Dreams“ wird versprochen. Ich lasse die Träume hinter mir. Vor der Commerzbank liegt noch das zersprungene Betonkreuz mit der Inschrift „Klaus Jürgen Rattay“ im Bürgersteig. Grade ist es von einem Auto der deutschen Bahn zugeparkt. Klaus Jürgen Rattay wurde Anfang der 80er bei Hausbesetzerprotesten auf der Flucht vor der prügelnden Polizei von einem BVG-Bus überrollt und starb. Anschließend brachen Riots aus. Von der Besetzermetropole Nordschöneberg ist heute nicht viel zu sehen. Aber ein paar Restbestände sind vorhanden. Ich versuche immer noch das Betonkreuz unter dem Bahnauto zu betrachten. Neben mir fährt lautstark ein Doppelstockbus. Schräg von oben rattert die Hochbahn. Unter der Hochbahn riecht es immer noch nach Pisse. Aber dezenter als früher. Junkies sehe ich keine mehr. Dafür fährt eine alte, grün/weiß gestrichene und vergitterte Bullenwanne vorbei. Romantisch!

Ab jetzt ist eigentlich alles fast wie immer. Begine und Eurogida, die bestimmt 20 Jahre alte Baustellenbrache und kurz darauf die beiden ehemals besetzten Häuser mit viel Grünzeug davor. Von hier aus kann ich schon in die 2. Etage des BVG-Gebäudes schräg gegenüber schauen. Es brennt Licht.