„…das war nur der erste Tag“

Letztes Wochenende hatte ich zwei Konzerte im Dresdner Hechtviertel. Dort habe ich Anna und Sasha, ein auch künstlerisch aktives Paar aus Odessa getroffen, mit denen ich mich auf deutsch und englisch unterhalten konnte, was nicht selbstverständlich ist. Ein Stückchen des Gesprächs hab ich mitgeschrieben.

GZ: Wie habt Ihr den Kriegsanfang erlebt?

Anna: Es fing am 24. 2. um vier Uhr morgens an aber um ehrlich zu sein, fühlten wir schon länger, dass etwas Schlechtes in der Luft lag. Seit etwa 2 Monaten. Wir versuchten so zu tun, als sei alles normal um zu relaxen. Aber alle redeten über den Krieg. Da kursierten Daten: Der 16.2.? Der 20. 2.? Wir tranken Kaffee und alle redeten über den Krieg. Wir hatten einen Hinterhof mit Nachbarn. Als ich einmal eine Zigarette auf dem Balkon rauchte, hörte ich die Nachbarn streiten. Gestritten wurde über den Krieg. Ob er beginnt und welche Waffen sie nehmen könnten, wenn er beginnt. Eine ruhige Nacht in Odessa!

Sasha:
Ich spürte das, als ich kurz vorher auf Artresidenz nahe Lugansk war. Da lag Angst in der Luft. Alle fühlten: „Der Krieg wird bald enden und um ihn zu beenden wird ein großer Krieg anfangen“. Vor dem Krieg überlegten wir einige Male, was wir tun würden. Direkt vor dem Krieg war ich in Kyiv um meine Ausstellung abzubauen. Als ich hin fuhr, sammelte ich meine Sachen wie für eine Nottasche. Wir hatten keinen Zweifel, dass es beginnen würde.

Anna: Sie kam um 4 in Odessa an. Wir waren zu Hause und wollten Tee trinken und schlafen gehen. Sasha wollte vorher noch duschen gehen. Aber wir konnten das nicht machen. Wir saßen am Tisch, dann kamen die ersten Explosionen. Dann haben wir die Chats gelesen und gesehen, dass die „Spezialoperation“ startete. Nachdem wir in in Odessa alle gehört hatten, kam raus, dass das ganze Land betroffen war. Wir nahmen unsere Notfalltaschen und gingen zu unseren Großeltern weil die einen Keller hatten. Mir ging es schlecht! Ich war verängstigt. Diese Angst werde ich niemals vergessen!
Ich hatte schon in der Nacht vorher verstanden, das etwas passieren würde, weil die Russen in den Botschaften und Konsulaten alle Dokumente verbrannten. Woher ich das wusste? Weil ich auch einen russischen Pass habe. Ich konnte Russland entkommen und Bürgerin der Ukraine werden. Darum war ich auch doppelt verängstigt, weil ich hörte, das in der EU Leute aus der Ukraine willkommen sein würden, Russen jedoch nicht.

GZ: Warum bist Du aus Russland weggegangen?

Anna: Weil ich LGBT bin und ich mich da wie ein Allian fühlte. Da ist keine Redefreiheit! Sie verhafteten meine Freunde, die an Protesten teilnahmen. 2014 war das Gesetz gegen „LGBT Propaganda“. Dann annektierten sie sie die Krim. Mein Vater ist von dort, meine Mutter ist aus Odessa. Ich erinnere mich sehr gut an ihre Worte damals: „ Es ist gut, dass Deine Großeltern schon gestorben sind und das jetzt nicht mehr erleben müssen“. Beide Großväter waren im 2. Weltkrieg. Meine beiden Großmütter überlebten die Angriffe. Meine eine Großmutter war auf der Krim als diese angegriffen wurde. Da fiel eine Rakete in den Garten und explodierte nicht. Wenn ich jetzt an meine Freunde in Kiew oder Charkiv denke die zwischen den Bomben leben müssen, wo ganz viele Raketen einschlagen und manchmal auch nicht explodieren… Da verbinden sich diese Geschichten miteinander!

In der Kriegszeit haben Menschen abnorme Ideen. Wir hatten eine Katze, die wir zurücklassen mussten. Wir hatten niemandem etwas sagen können. Nun dachte ich: Falls die Stadt blockiert ist, haben die Leute wenigstens was zum Essen.
Wir wussten nicht ob wir rauskommen. Wir waren im Zentrum und wir hatten großes Glück, dass wir die Chance hatten, zusammen zu gehen; Sasha, ihr Vater, die Stiefmutter, die Schwester im Teenageralter, ich und der Hund. Wir waren 5 Leute im Auto und ein großer Hund – da war nicht viel Platz für Sachen. Die Stiefmutter war sehr traurig, regelrecht zerbrochen, weil ihre Eltern und ihr 16jähriger Sohn in Odessa geblieben sind. Als wir zur Grenze fuhren, war da ein riesiger Stau.

Sasha: Da gab es eine Brücke. Wir sind rübergefahren. An beiden Seiten waren Soldaten mit Waffen. Du denkst, das ist alles nicht real. Wie im Film! Wir waren sehr glücklich, weil wir nicht lange im Stau standen. Nur 18 Stunden! Wir sahen zerbombte Plätze, Armeefahrzeuge auf dem Weg nach Odessa, die riesig waren, was ziemlich beängstigend ist, wenn man in einem kleinen Auto sitzt. Und das? – Das war nur der erste Tag!