Nachträgliches Tourtagebuch

Warum nehme ich mir eigentlich so einen Quatsch vor. Tourtagebuch. Laufend erneuert während der Tour. Wie zu erwarten nicht geschafft. Was solls – ich versuche im Nachhinein ganz individuell noch ein paar Trümmer zu sortieren, falls mich die wunderbaren Lieder von Georg Kreisler nicht zu sehr davon ablenken.

In Proschim im Zelt
In Proschim im Zelt…

Am nächsten Tag hängen wir im Camp herum, während ČK den Bus abholen. So können wir uns noch einen Eindruck von der Zukunft des Dörfchens machen:
Und so wird das da alles aussehen...
Schick! So wird demnächst die ganze Gegend aussehen.

Bei diesen Aussichten wollen wir die Niederlausitz so schnell wie möglich verlassen. Nach einem geheimen Spontangig in der Oberlausitz fahren wir am Dienstag endlich los, fahren und fahren und kommen spät in der Nacht in Częstochowa an, wo wir unseren Freund und Tourorganisator Pjotrek treffen sollen und einen großartigen Gastgeber haben. Mittwoch rumhängen, Stadt anschauen und halbherzig einen Spontangig suchen, was nicht funktioniert. Donnerstag wieder Fahren und endlich spielen: im Klub Alchemia in Krakow.

Das ist eine Bar, fast ein bisschen schick mit einem hübschen Keller. Das Konzert ist nicht wirklich voll, aber wir schaffen es, schön zu spielen und bekommen viele Komplimente für unsere Musik. Passend zum Namen des Klubs: ČK im Nebel.

Freitag. Weiter gehts. Bisher kannte ich nur „Schlagt die Sudeten mit den Beneš – Dekreten“ – jetzt sehe ich die Sudeten leibhaftig vor mir: Ein Mittelgebirge, das zum Wandern einlädt und nichts für deutsche Revanchisten kann. Am Rande dieses Gebirges, grade noch auf polnischer Seite, liegt das Städtchen Głuchołazy und am Rande des Städtchens eine Bühne auf einem kleinen Berg. Auf dieser Bühne ein etwas tourilastiges Festival und wir mittendrin.

Ungewöhnlicher Gig und ungewohntes Publikum für uns alle. Aber durchaus spannend und mit sehr guter Technik. Für die Hälfte von uns endete das Ganze noch mit einem Besäufnis mit Jamsession mit dem bekannten alten polnischen Hippie Jacek Kleyff und seinen Kumpels… aber so ganz genau wissen wir das alles nicht mehr.

Tags drauf dann Cieszyn/Těšín an der tschechisch-polnischen Grenze. Unser Konzertort neben dem alten Zollhaus auf polnischer Seite, wo unabhängige Linke einen Buchladen/Bibliothek und ein Kulturzentrum eingerichtet haben. Alles sehr ordentlich, so gar nicht subkulturell. Ein Konzert mit untergehender Sonne und wundervoller Kulisse:

Alles wunderschön, auch die Aftershow in einer tschechischen Kneipe, die Diskussionen, der Schnaps und nochmal Musik, Musik, Musik…
Danach erstmal Pause und die brauchen wir auch. Die Hälfte liegt siech irgendwo herum, der Rest vertreibt sich die Zeit mit Bergwanderungen in den Beskiden. Zugleich warten wir auf Originalpapiere für unseren Bus, die nicht rechtzeitig ankommen. Am Dienstag den 23.7. dann die Grenze, die wir wundersamerweise mit unseren kopierten Papieren und ohne allzugroße Schikanen überqueren dürfen. Eine richtige Grenze! Als BewohnerInnen der Schengenländer sind wir so was gar nicht mehr gewohnt. Allerdings ist es viel schwieriger die Grenze mit ukrainischen Papieren in die andere Richtung zu queren. Das Grenzregime der EU sehen wir aus der privilegierten Perspektive – das darf man nicht vergessen.
Jetzt schnell nach Uzhgorod, eine ukrainisch – slowakische Grenzstadt. Uns erwartet das einzige richtige DIY – Punkkonzert auf dieser Tour in einem Proberaumkeller unter dem örtlichen Kino. Die Technik ist so lala, das Licht scheiße aber unsere GastgeberInnen sehr, sehr tolle Leute, was wir leider nicht so recht geniessen können, weil wir immer noch vollkommen im Eimer sind und am nächsten Tag einen langen Weg nach Lviv vor uns haben über Straßen mit Schlaglöchern, von denen unser Fahrer wahrscheinlich jetzt noch Alpträume hat.


Thank you, Andrej!

Der nächste Gig ist das genaue Gegenteil. Schickes Cafe in der Lviver Innenstadt mit gutem Essen in kleinen Portionen (wir essen 2x) und sehr guter Bandbetreuung. Das ganze ist Teil einer Gedenkveranstaltungsreihe zu Ehren des ukrainischen Dichters Ivano Franko , die 2 Tage später in einem Riesenfestival münden wird, auf dem wir unsere größte Bühne ever bespielen werden. Ivano Franko war ein revolutionärer Dichter im ausgehenden 19. Jahrhundert und sehr wichtig für die ukrainische Literatur. Er wird sehr verehrt, was schon zu Sowjetzeiten der Fall war. Ganze Städte sind nach im benannt und heute scheint sich Gott und die Welt auf ihn zu beziehen. Der nationale Pathos in seinen Gedichten schreckt mich allerdings eher ab.
Das Konzert: ein gediegener Raum im ersten Stock; vor dem Konzert ein mit Trachten bebilderter Vortrag über Sorben und so. Mir ist das ein bisschen unangenehm, auch wenn es den Vorteil hat im nachhinein nichts über die Sprache erzählen zu müssen in der wir manchmal singen. Dann ČK mit großem Krach! Die Leute bleiben sitzen.


Kurzer Übergang zu fünft, dann wir. Schönes Konzert eigentlich und viel Zuspruch im Nachhinein. Essen, Packen, Hotel. Ja! Es gibt ein Hotel mit viiiel Platz. Können wir auch gebrauchen, weil wir immernoch von fiesen Viren attackiert werden.

Nächste Ausfahrt Drohobytsch. Was heißt Ausfahrt? Eine kleine Stadt fünfzig km von Lviv entfernt mit Uni-Außenstellen und auf der staubigen Parkplatz der Slawistik ein Konzert mit mehreren Bands. Allgegenwärtig die ukrainische Polizei, die anfängt hektisch zu telefonieren, als sie vor „Fix the Crisis“ das Wort Punk vernimmt (so wird es uns zugetragen und ich möchte es glauben).

Wir spielen das meiner Meinung nach beste Konzert dieser Tour (und ich finde, bei ČK ist es genauso) vor einer bunten Mischung von sehr unterschiedlichen Leuten. Am besten gefällts dem etwa 10-Jährigen Jungen, der bei ČK eine beeindruckende Luftgitarren und Luftschlagzeugshow hinlegt.
In Drohobytsch gibts aber noch was mehr Gutes. Wir haben das Vergnügen unsere lubliner KollegInnen von Miąższ kennenzulernen. Tolle Band, toller Auftritt!

Und vor allem großartige Leute, mit denen wir noch den ganzen Abend abhängen werden. Die Sängerin kennt uns von den lubliner Konzerten in den letzten Jahren in der Tektura, die beiden Herren sind alte Punks mit Verbindungen zu allem möglichen was polnischer Punk so zu bieten hat und das ist ne Menge. Große Freude und Verbrüderung – mit bisschen Glück kommen die mal nach Berlin.

Nächster Tag, Freitag, 26. 7.: Riesenfestival, Riesenbühne. So was großes hab ich noch nie bespielt. Auch schön mal wieder mit sehr professioneller Technik, spitzen Bühnensound und so.
Trotzdem gibt es Dinge, die mich stören. Neben allen möglichen Leuten und Ständen hängen auch schwarz-rote Fahnen herum. Normalerweise würde mich das freuen, blöderweise sind diese Fahnen (längsgestreift) hier die Fahnen der Nationalisten. Nicht, daß die das Festival dominieren, so siehts nicht aus, aber sie sind eben da. Auch irgendeiner der Sponsoren ist eher rechtskonservativ, entdeckt Pjotrek. Nun ja, einer von 100.
Wir sind unsicher, was wir machen sollen und beschließen, wenigstens mit einer Ansage Position zu beziehen. „We like Black and Red Flags but we dont like nationalism!“ und dann „Ja njewěm“ live. Anschließend auf ukrainisch „Naš dim je wilne swit“ – unser Haus ist die ganze Welt, ein leicht abgewandelter Spruch russischer AnarchistInnen.
Später denke ich noch, dass ich gern T-Shirts gehabt hätte mit der Aufschrift „Machnow nicht Petljura“, aber das führt ziemlich tief in die ukrainische Geschichte über die ich später zu Hause lesen werde, was Schwindel verursachen wird. Aber dazu irgendwann ein eigener Text.

Auf der Riesenbühne sind wir natürlich nur der Opener. Nach uns spielen alle möglichen ukrainischen Stars, die wir aber großenteils verpassen, weil wir mit Miąższ und anderen neuen Freunden abhängen. Bei uns sitzt das Publikum leider ganz schön weit weg von der Bühne, was aber auch daran liegt, dass direkt davor ein großer VIP – Bereich ist was auch später bei den großen Bands auf die Stimmumg drückt. Komisch, ich kann nicht verstehen, was das soll. Trotzdem alles in allem kein schlechtes Konzert.


Heute schlafen wir nach ein paar Irritationen in einem Bauernhaus um die Ecke. Am nächsten morgen (wir müssen früh raus) gibts ein sehr deftiges Frühstück und eigenproduzierten Wodka. Dann ab nach Lublin, wo wir auf einer hübschen Brücke mit Kulturcafe spielen. Wieder ein Konzert im Sonnenuntergang. Eigentlich wunderschön aber für mich schwer zu genießen, weil ich nach der langen Fahrt ganz schön durch bin, mittelmäßig und unkonzentriert spiele und im Anschluss unzufrieden bin. ČK im Gegensatz dazu richtig gut!


Enspurt. Warszawa. Wir freuen uns drauf, weil hier Artjom ein Musikvideo mit uns vorstellen wird und wir in einige Leute in der Stadt kennen.

Der Klub stellt sich allerdings als Fehlgriff heraus. Selten so kühl empfangen worden. Daß unsere Plakate erst im Laden aufgehangen wurden, als wir mal kurz essen waren – auch irgenwie nicht optimal. Aber dass wir – während wir auf der Bühne standen – unser Wasser bezahlen mussten… das ist mir auch noch nie passiert. Nichtsdestotrotz wars ne schöne Videovorstellung und auch ein gutes Konzert auf dem viel weißrussisch gesprochen wurde. Hier erstmal keine Videokunst, sonern ein dunkler Mitschnitt.

Später wurde es noch richtig lebhaft mit Pogo zu ČK und so. Und unsere weißrussischen KollegInnen waren auch Spitze! Eigentlich schade, dass wir beim letzten Gig am liebsten „Fuck You“ an den Laden gsprüht hätten. Aber es wird ja ein nächstes Mal geben in in Warszawa. Dann wird alles anders. Und außerdem haben wir jetzt ein wunderhübsches Musikvideo über das ich noch mal mehr schreiben werde… aber nicht jetzt! Thank you, Artjom!!!

Berlinska Droha from ToTak on Vimeo.

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