The Preacher and The Slave oder die Aktualität einer Geschichte

Ich muss Plakate aufhängen und Flyer verteilen für dieses Konzert zum 100. Jahrestag des Justizmordes an Joe Hill. Wie man das so macht. Mit dem Fahrrad durch die ganze Stadt und in jeder fünften Kneipe ein kleines Bier. Aber nicht zu lange – es muss ja vorwärts gehen. Im Tommy Weissbecker Haus (auch so ein Name mit Geschichte), sprechen mich drei Jugendliche darauf an, was ich verteilen würde. Sie denken, es wäre für den Refugee Schul und Unistreik und winken ab, als es nichts aktuelles ist. Ich sitze auf meinem Fahrrad und frage mich, was ich da eigentlich mache. Die Welt ist aus den Fugen, Syrien pulverisiert und warlordisiert, die Türkei schlittert in den Bürgerkrieg, der in der Ukraine seinen Gang geht, das reiche Deutschland tut überfordert mit einer Anzahl Flüchtlingen, über die der Libanon nur müde lächeln würde, während die Rassisten Oberwasser kriegen und fast jeden Tag ein (geplantes) Flüchtlingsheim brennt (Und während ich diese Zeilen tippe erschießen fanatisierte Islamisten wahllos die Besucher eines Konzerts). Und was mache ich? Ich organisiere eine Kulturveranstaltung in Erinnerung an einen Justizmord vor 100 Jahren!
Ich tröste mich mit bekannten Formeln wie, daß die Linke doch ihre Geschichte nicht vergessen sollte und frage mich zugleich ob das nicht grade zweitrangig ist. Ist es. Das ändert aber nichts daran, dass die Vergangenheit auch im Hinblick auf die Gegenwart ihre interessanten Seiten hat.

Joe Hill war so etwas wie ein „Wirtschaftsflüchtling“. Aus dem damals noch armen Schweden eingewandert, gehörte er zu denjenigen, die in diversen Einwanderungswellen den deprimierenden Lebensumständen Zuhause entflohen und in Amerika angekommen in den beschissensten Jobs landeten, als WanderarbeiterInnen von Job zu Job zogen und von den etablierten Gewerkschaften für unorganisierbar gehalten wurden. Wie viele andere aber organisierte sich Joe Hill in der 1906 gegründeten IWW. In der One Big Union wurden die Spaltungslinien innerhalb der ArbeiterInnen unbedeutend: Herkunftsländer, Hautfarbe, Geschlecht oder Religion – all das verlor an Bedeutung angesichts des Zieles der Emanzipation der ArbeiterInnen von der Lohnsklaverei. Auch ansonsten war die IWW bahnbrechend. Textilarbeiterinnen – als Frauen von den etablierten Gewerkschaften bisher missachtet – organisierten mit der IWW große Streiks und Emma Goldman – Anarchistin und IWW – Mitglied – betrieb Sexualaufklärung unter Arbeiterinnen und agitierte für die Befreiung der Frauen. Zugleich machte die IWW die rassistische Spaltung der ArbeiterInnen nicht mit – in einer zutiefst rassistischen Gesellschaft keine Kleinigkeit.
Große Teile dieser Agitation fanden auf Seifenkisten statt. Der Staat und religiöse Gruppen versuchten das zu unterbinden. Der Staat mit Repression, die Heilsarmee mit ihren Blaskapellen. Die ArbeiterInnen sangen auf die Melodien einfach einen anderen Text. The Preacher And The Slave ist so ein Beispiel.

Die IWW gibt es noch. Aber nicht als die große ONE BIG UNION, sondern als kleine Minderheitengewerkschaft – in Deutschland etwas kleiner als die FAU. Zermalmt in der Red Scare – Kampagne blieb sie aber eine wichtige Inspirationsquelle für spätere Kämpfe und dies sollte sie auch heute sein. Zum Beispiel was Geflüchtete betrifft, die uns bald grade in den unangenehmen Jobs und auf den Ämtern begegnen werden. Rassismus a la Pegida kann nur in eine loose-loose Situation führen. Grade wegen rassistischer Ausgrenzung wären die neuen KollegInnen dazu gezwungen zu den beschissensten Bedingungen zu arbeiten. Helfen könnte gemeinsame Organisierung.
Ob diese Perspektive in einer Zeit, in der jedes zarte Pflänzchen der Emanzipation zwischen reaktionären Desastern a la Pegida oder Islamismus zermalmt wird, realistisch ist? Ich muss es hoffen und etwas tun. Oder – zurück zu Joe Hill – „Trauert nicht, organisiert euch!“.

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