Stayin´ Alive – 20 Jahre DAGEGEN!

20 Jahre DAGEGEN!

Seit Pegida hat das Dagegensein einen schlechten Ruf. Die Wut hat die Seiten gewechselt und tritt nach unten – oder was sie dafür hält. Vor 20 Jahren konnte ich davon noch nichts ahnen: DAGEGEN! entstand nach dem Widerstand gegen das Hartz-Papier, war auch ein Stückweit Ausdruck davon. Aber was ist denn mit unserer Wut? Haben wir keine mehr im Wanst? Ist jetzt alles in Ordnung?

Natürlich ist nichts in Ordnung! Nichts! Weil das so ist, verdient das Dagegensein mehr Fürsprache, auch wenn es nicht immer gleich Lösungen anzubieten hat, sich aber stets auch gegen das Nachuntentreten richten sollte. Kein schlechter Grund, genau dieses erste Album als Anlass für irgendwann sowieso einmal anstehende Jubiläumsfestivitäten nebst Platte auszuwählen. Im bunten Strauß der Möglichkeiten hätte es aber durchaus auch andere Blumen gegeben. Bei der Schwierigkeit, das zu entscheiden, stand eine Frage im Raum: Wann hab ich eigentlich angefangen? Ja, wann eigentlich?

Damals im Dresdner Kulturpalast, als wir bei der musikalischen Früherziehung Klanghölzer gegeneinander schlugen? Beim ersten Vorspiel in der Togliattistraße in der Neustadt? Als ich zwölfjährig unterm Fürstenzug improvisierte und mit Taschen voller Westgeld heimwärts zog? Als ich in Berlin wegen zu wenig Üben von der in „musikbetontes Gymnasium“ umbenannten „Spezi“ flog? Als ich ich mit meiner ersten Punkband und selbstgebauter E-Geige ein Schulfest auseinander nahm (Nie war ich mehr Punk! John Lennon wird es mir verzeihen!)? Als ich mir mit Black Riding Underground von Fluchtweg in der U1 zwischen Rigaer 80 und Drugstore das Geld fürs Bier zusammenspielte? Als ich mein erstes Solokonzert in der KvU versuchte (Ein Desaster!)? Als ich irgendwie in die Köterkacke-Aufnahmesession gefallen bin und danach irgendwie Teil der Band wurde? Als mich nach dem Zerfall der Band Wahnfried in die Chemo nach Dresden eingeladen hat und wir alle Schleimkeim mit Geige gröhlten (Das alles gab es mal bei uns!)? Als ich versuchte, ein satirisches Programm gegen das Hartz-Papier aufzuführen? Als Clone fragte: „Willste mal was aufnehmen?“ und wir in der Kreutzigerstraße mit zwei Mikros DAGEGEN! einspielten? Als das Album mit einer Releaseparty im Fischladen veröffentlicht wurde …

STOPP!

Letzteres haben wir im November 2025 ausgiebig am Ort des Geschehens gefeiert. Die Jubiläumsplatte haltet ihr in den Händen.

Stayin’ Alive

Der erste Song des Albums ist jedoch gar kein alter Kram, sondern eine eine Erstveröffentlichung. Weil es angesichts der gesellschaftlichen Lage gar nicht so einfach ist, den Kopf oben zu halten, trägt das Lied den erbaulichen Titel HILFE. Die Attitüden Plattitüden Showband hat dazu kurz „Stayin’ Alive“ zitiert und damit der Platte den Titel gegeben. Was sollen wir denn sonst machen in diesen Zeiten? Zusammen mit Kiki, Marius und Robert habe ich oft den GRUNEWALD besucht – immer am 1. Mai. Das gleichnamige Lied wurde kurz nach der ersten MyGruni-Demo auf Deutscher Wald für deutsche Rehe veröffentlicht. Das KARUSSELL hingegen ist ganz neu, aber so kaputt wie ein stillgelegter VEB in den 90er Jahren. Wenn man dazu KOPFSTAND macht, sieht man wieder nur schwarzrotgoldene Rehe im deutschen Wald. Beim Versuch, vor Schreck in die GLÜCKLICHE KINDHEIT zu fliehen, stellt man fest, dass sie so glücklich nicht ist. Wie auch, denn Der Zeitstrahl ist zerbrochen und das schon vor ’89. Zum Glück geht es von dort aus direkt in den HERZKERKER, der merkwürdigerweise auf die Revolutionsmusik gepresst ist, einer Liveaufnahme aus dem Saarland. PRIVILIGIEN sind wieder Zeitstrahl, genau wie DER ZEITSTRAHL IST ZERBROCHEN auf der B-Seite. WENDEPUNKT NULLkaputt wie der darauffolgende Kapitalismus. DEINE FIRMA atmet den neoliberalen Erweckungsgeist der 90er und das selbst im DAGEGEN!-Sein. Die Flucht in subkulturelle Nischen ist dennoch eher Selbstbetrug als Revolution. Nichtsdestotrotz erscheint DAMALS IM DRUGSTORE zuerst auf der Revolutionsmusik. Mit KLARSTELLUNG sind auch die Sollbruchstellen hier vertreten. Das Lied ist jedoch eigentlich von Köterkacke (Danke!). REVOLUTIONSMUSIK hab ich mit vielen meiner Projekte gespielt. Versionen gibt es z.B. von Berlinska droha, Atze Wellblech oder dem Kopfstand-Trio. Andere (Projekt)-Formationen wie Circolo Vizioso oder die Serbsko-Waliziske přećelstwo sind dagegen bisher ganz gut ohne diese leicht zu erlernende und eingängige Reggaenummer ausgekommen. Auf dieser Platte haben wir das Lied in einem letzten Take eingespielt, als wir schon längst über der Zeit waren (Danke Smail!). Der Form halber sei noch erwähnt, dass Revolutionsmusik auf Revolutionsmusik veröffentlicht wurde (Wer hätte das gedacht?). Bei dieser Rückschau hier haben wir ein Soloalbum vergessen, aber Was soll schon sein?

Ich grüße alle, mit denen ich ein Stück Weg gegangen bin, zusammen gelacht, geliebt, gekämpft, gestritten habe.

Dźakuju! Danke!

FÜR MEHR DAGEGEN! AUF DIE BARRIKADEN!

Wir sehen uns.

Pawoł Geigerzähler 16. 4. 2025

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