Zum Glück kein Nafri

Zwischen U-Bahn und S-Bahn sitzt ein dicker bärtiger Mann auf einem Stück Pappe. Über ihm ein Vordach eines Geschäftes, vor ihm Schneeregen. Der Mann sieht aus wie Sigmar Gabriel mit etwa einem Monat alten Bart. Neben ihm ein Hund – ein zottliger Schäferhund oder etwas ähnliches. Vor den beiden steht ein Pappbecher mit Kupfermünzen.
Hund: „Fliese…“
Fliese: „Psst…“
Hund: Ich hab Jürgen gesehen. Jürgen Kadeweit.
Fliese: Was?
Hund: Da hinten. Der mit den roten Plakaten.
Fliese: (zischt und zieht sich seinen Schal ins Gesicht): Du sollst nicht immer reden. Was sollen denn die Leute denken, wenn der Hund plötzlich quatscht. Dann denken die doch gleich, dass du der Wolf bist, der aus dem Tierpark ausgebrochen und als mein Hund durch die Razzia durchgeschlüpft ist. Und jetzt still! Wenn wir erkannt werden, sind wir geliefert!

Fliese nimmt einen großen Schluck aus dem Flachmann, der in seiner Jackentasche steckte und beobachtet, wie Jürgen mit professioneller Schnelligkeit ein Plakat nach dem anderen klebt und langsam aus dem Blickfeld entschwindet. Fliese nimmt noch einen Schluck. Benommen kann er nun viel Polizei sehen. Fliese erschrickt ein wenig, entspannt sich aber, als er beobachtet wie die Polizisten alle südländisch aussehenden jungen Männer einkesseln. NAFRIalarm! Das hatte Fliese schon öfter beobachtet. Wie gut das kein NAFRI ist. Da kann nichts passiereren. Fliese nimmt noch einen Schluck und beginnt leise zu schnarchen.
Auch der Hundwolf ist eingeschlafen. Er träumt eine süsse Kindergeschichte, die ihm seine Mutter damals in der Lausitz bei einer Rehkeule an diesem schönen Rudelrastplatz neben dem Tagebau erzählt hatte. Damals, als er noch jung und die Welt noch in Ordnung war:

Der Wolfkumpel

Es war einmal ein großes Monster. Das war in der ganzen Welt gefürchret. Das Monster hieß Wolfkumpel. Seine Eltern hießen Kumpelrumpel und Riesenmaus. Einmal zogen sie in die Stadt und begegneten einem Menschen. Der Mensch hieß Harm. Harm war sehr groß, aber nicht erwachsen. Neben ihm saß ein Hund, der sehr laut bellte. Als er den Wolfkumpel sah, erschreckte Harm sich sehr. Der Hund fing wütend an zu knurren und wollte sich losreißen. Die drei Monster stürtzten sich auf Harm und den Hund. Harm schrie: „HILFE!“
Da kamen die Leute aus den Häusern angestürzt. Aber die drei Monster waren sehr stark. Sie warfen ein Fischernetz über die Dorfbewohner und schleppten sie allesamt zu ihrer Höhle auf dem Schwarzen Berg. Sie brachten sie in einen tief gelegenen Höhlengang und schoben einen schweren Stein vor den Ausgang. Dann fingen sich die 3 Monster 3 Wildschweine und 21 Kaninchen. Sie schlugen sich den Bauch voll und legten sich sodann vor den großen Stein und fingen laut an zu schnarchen. Plötzlich raschelte etwas. Alle Monster wachten sofort auf. Eine Klapperschlange kam angekrochen. Hinter ihr klapperten noch 100 weitere Klapperschlangen. Und ehe die Monster Zeit hatten, sich zu erschrecken, bissen die Schlangen sie in die Beine. Ihr müsst wissen, das für Monster Klapperschlangengift nicht gefährlich ist. Deswegen fingen die drei Monster an, sich die Klapperschlangen von den Beinen zu pflücken und sie in ihre Speisekammer zu tragen…

Der Hund-Wolf öffnet die Augen und sieht einen Polizeikessel. Achso. NAFRI-Alarm. Ihn betraf das ja nicht. Er war ja nur ein Wolf aus dem Tierpark mitten in Berlin… Und Fliese. Der war ja nur ein untergetauchter Auftragskiller. Ein Glück das Fliese kein NAFRI war.
Auch der Hundwolf schläft wieder ein. Im Halbschlaf hört er noch leise diese Straßenmusikerin, die sich neben Fliese hingestellt hat und dem Schneeregen trotzend ihre traurigen Lieder spielt…

Aus dem 19. Kopfstand. Musik vom A TOUSAND YELLOW DAISIES, Text Geigerzähler. Nächster Kopfstand am 2. 2.